Es gibt wohl besonders günstige Umweltbedingungen für Kunst und Literatur. Vor rund hundert Jahren waren es verrauchte Kaffeehäuser wie das Wiener Café Central oder das Prager Café Arco. Mit der Spezialnuss aus Nro. 328 begab sich die Gemeine auf Exkursion in die Moldaustadt, wo einst Kafka, Brod & Co. an Marmortischen saßen. Die anregend-unruhige Atmosphäre fängt ein damals kursierender, auf Schillers "Taucher" anspielender Zweizeiler ein: "Und es werfelt und brodelt und kafkat und kischt, / Wie wenn Rilke mit Meyrink sich mengt . . ."
Auf der Suche nach deutschsprachigen Schriftstellern aus Prag griff Dr. Alfred Komaz, Wien 19, zu "einer älteren deutschen Literaturgeschichte" und stellte fest: "In einem Autorenkatalog finden sich neben . . . Namen wie Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Franz Werfel, Max Brod und Gustav Meyrink über 20 weitere Schriftsteller" - das war, gemessen an damals "nur rund 33.000 deutschsprachigen Personen gegenüber einer halben Million Tschechen, schon etwas erstaunlich." Der gebürtige Böhme Karl Kraus (1874-1936) ätzte über das literarische Leben in Prag, "wo sie besonders begabt sind und wo jeder, der mit einem aufgewachsen ist, welcher dichtet, auch dichtet" ("Fackel", Heft 398/1914).
Dr. Manfred Kremser, Wien 18, betont, dass der Begriff der Prager deutschen Literatur "erst seit dem Zweiten Weltkrieg" fest verankert ist, "wenn es auch Literaturgeschichte über die deutschsprachige Literatur Böhmens/Mährens und Mährisch-Schlesiens schon viel länger gibt". Zeitlich begrenzt man die Prager deutsche Literatur oft mit Rilkes erstem Gedichtband "Leben und Lieder" (1894) und dem Einmarsch der Nazis, der dieser Epoche über Nacht ein Ende setzte. "Eine literarische Schule bestand aber niemals, denn die Autoren waren und schrieben ganz unterschiedlich."
Zum "engeren Prager Kreis" zählen, so Dr. Karl Beck, Purkersdorf: Max Brod, Franz Kafka, Felix Weltsch und Oskar Baum. Daneben kann man auch einen "neuromantischen Kreis Jung-Prag" ausmachen, zu dem Rainer Maria Rilke, Gustav Meyrink und der junge Franz Werfel zu rechnen wären. Doch die Grenzen sind fließend, "eine Geburtsstadt sagt alleine nichts aus", so Dr. Beck. Zur langen Tradition des Deutschen in der böhmischen Stadt notiert der Tüftler: "In Prag wurde die erste deutsche Universität unter Karl IV. gegründet. Der sprach weder Deutsch noch Tschechisch, dafür Französisch!"
Wie klang Kafka?
"Das Prager Deutsch", so Herbert Beer, Wolfpassing, sei "ein dialektfreies, stark an der Schriftsprache orientiertes Deutsch". Linguisten zweifeln, dass es sich "von den in der Region von alters her gesprochenen Dialekten ableitet. Vielmehr dürfte das Prager Deutsch dadurch entstanden sein, dass Deutsch in den Habsburger Ländern zur Bildungssprache der Juden wurde, und sie dieses Deutsch zunächst über die Schriftsprache erlernten. Jüdische Schulen durften nämlich in den Habsburger Ländern lange nur unter einer Bedingung neben Religion auch praktische Fächer wie Mathematik und Geographie unterrichten: Unterrichtssprache musste Deutsch sein." Um 1900 spielten auch die deutschsprachigen Zeitungen eine wichtige Rolle, Tüftler Beer nennt u.a. "Bohemia" (1828-1938), "Prager Tagblatt" (1876- 1939) und "Prager Presse" (1921-1939).
Den "rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch (1885- 1948) erwähnt in diesem Zusammenhang Mathilde Lewandowski, Payerbach: Er "gilt als Begründer und Meister der literarischen Reportage." Seine "exakten Milieustudien und interessanten Reiseberichte" bieten "auch heute noch ein großes Lesevergnügen . . . Anerkennung gewann er u.a. durch seine Reportagen "Zaren, Popen, Bolschewiken" (1927) und "Paradies Amerika" (1930) . . . Als einer der von den Nationalsozialisten meistgehassten jüdischen Intellektuellen ging Kisch 1933 nach Frankreich ins Exil und floh 1939 weiter nach Mexiko. 1946 kehrte er nach Prag zurück, wo er zwei Jahre später starb."
Tschechisches Herz
Seinen Lieblingsautor aus dem Prager Kreis nennt Gerhard Toifl, Wien 17: Franz Kafka. Der Zeitreisende schätzt besonders dessen "Bericht für eine Akademie". Diese Erzählung über einen immer mehr zum Menschen werdenden Affen erschien 1917 erstmals in der Zeitschrift "Der Jude" (s. Faksimile oben). Kafka (1883- 1924), Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie, "gehörte zur Minderheit der Bevölkerung Prags, deren Muttersprache Deutsch war. Außerdem beherrschte er . . . Tschechisch". Von ihm soll der Satz stammen: "Deutsch ist meine Muttersprache, aber das Tschechische geht mir zu Herzen". 1889-1893 besuchte er eine "deutsche Knabenschule am Fleischmarkt in Prag. Anschließend ging er . . . auf das ebenfalls deutschsprachige humanistische Staatsgymnasium". Nach Jus-Studium und Rechtspraktikum ergriff er seinen "Brotberuf" im Versicherungsbereich. Er starb 1924 in Kierling bei Wien an Tuberkulose. MedR DDr. Othmar Hartl, Linz, erwähnt Kafkas "Freundschaft mit Max Brod", seinem späteren Herausgeber. "Zwei testamentarische Verfügungen, den handschriftlichen Nachlass zu vernichten, wurden von Brod nicht befolgt" - ein Glück für Kafka-Liebhaber!