Mariahilfer Straße einst; Hafen von Manhattan nach 1880. Bilder: Archiv.
Mariahilfer Straße einst; Hafen von Manhattan nach 1880. Bilder: Archiv.

Welches Bild bot das Wiener Paar, das einst durch dick und dünn, ja bis nach Amerika ging? Wie sahen die Eltern aus, die ihrer Tochter die Heirat strikt verboten? Und wie blickte der gestrenge k.k. Richter, der die Strafsache verhandelte?

Dank eines Gerichtssaalberichts vor 125 Jahren in der Abendausgabe der "Wiener Zeitung" wissen wir über die in der Causa involvierten Personen einiges. Ihre Gesichter jedoch kennen wir nicht; Bildreportage war damals nicht sehr en vogue.

Da zu der auf dieser Seite abgedruckten Zeitreise seit eh und je Illustration gehört, wäre der Gemeine die nachfolgende Schilderung somit vorenthalten geblieben; der Cicerone des Geschichtsfeuilletons entschloss sich aber, seine Bibliothek nach "Vorkriegsware" (= Werken vor 1914) mit, wie er meint, annähernd passenden Konterfeis zu durchforsten...

Damit in medias res.

Die "Wiener Zeitung"-Spätausgabe "Wiener Abendpost" befasste sich am 16. Juli 1889 auf Seite 3 und 4 mit einem ungewöhnlichen Verfahren im Grauen Haus (wie man das Wiener Straflandesgericht schon nannte). In dem wenige Stunden nach der Urteilsfällung erschienenen Artikel hieß es einleitend:

Der seltene Fall, daß ein Mann, der (...) seit sechs Jahren mit seiner Frau in glücklicher Ehe lebt, wegen Entführung dieser Frau sich zu verantworten hat, beschäftigte heute den Erkenntnißsenat, welchem L.G.R. (= Landesgerichtsrat) Dr. Müllner präsidirte.

Zum Angeklagten Siegfried Samet erläuterte die "Abendpost", er sei ein in Wien geborener 36-jähriger Handlungsreisender. Und: Als Sohn eines Kleider Confectionärs (= Kleiderherstellers) bereiste er nach der dreijährigen Militärdienstzeit für das Geschäft seines Vaters ganz Rußland, bis er im Jahre 1882 als Platzagent (= mit Inkassoberechtigung ausgestatteter Unternehmensvertreter) bei der Seidenwaarenfirma Herzig u. Comp. in Wien in Dienste trat.

Aus dem Artikel erfahren wir weiter, wie sich 1883 alles für den damals 30-jährigen Siegfried S. und eine gewisse, 15-jährige Aloisia Binibe änderte. Es war Liebe auf den ersten Blick (und der Altersunterschied einst nicht ungewöhnlich), als sie einander an einem Frühlingstag in der Mariahilfer Straße sahen - vermutlich im regen inneren Teil der Verkehrsader, also auf uraltem Mariahilfer Boden (dass der Bezirk Neubau 1850 eine Straßenseite erhielt, ändert daran nichts).