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066 - Obdachlos: „Keiner ist safe“
Herbert „Bertl“ Varga war ein Egoist, sagt er – bis zu dem Tag, als seine Freundin starb und er plötzlich ohne Wohnung dastand.
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„Ich hab‘ immer gesagt, mich erwischt‘s nicht“, sagt Herbert Varga, der meistens nur Bertl genannt wird, in dieser Folge des WZ-Podcasts „Weiter gedacht“. „Aber das geht so schnell, das kann man gar nicht glauben: Keiner ist safe.“
Herbert spricht von der Obdachlosigkeit. Als seine Freundin vor sieben Jahren starb und er auf einmal ohne Meldezettel und Wohnung dastand, sei er obdachlos geworden. „Ich war am Boden", sagt er. Davor sei er ein Egoist gewesen. „Mein Leben lang."
Hilfe anzunehmen sei anfangs schwierig für ihn gewesen. Er fand sie bei Mitarbeiter:innen der Caritas und zog in die Notschlafstelle der Gruft. Dort schlief er mit dutzenden weiteren obdachlosen Menschen und habe damit den „harten Preis für all die Fehler gezahlt“, die er gemacht habe, sagt er.
Heute hat Herbert eine eigene Wohnung und arbeitet bei der Caritas Wien. Wie er wieder zurück ins Leben gefunden hat, erzählt er WZ-Host Petra Tempfer, die gemeinsam mit WZ-Host Mathias Ziegler durch die Folge führt.
Produziert von „hört hört!“.
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Infos und Quellen
Genese
Vor allem, wenn es draußen kalt ist, sind vermutlich die meisten froh, nachhause zu kommen. Dorthin, wo es warm und trocken ist. Doch wie ist es, wenn es kein Zuhause gibt? Die WZ-Hosts Petra Tempfer und Mathias Ziegler haben sich diese Frage gestellt und bei der Caritas der Erzdiözese Wien gefragt, ob sie für sie den Kontakt zu einem ehemals obdachlosen Menschen herstellen könne. Herbert Varga war bereit, über diesen Abschnitt seines Lebens zu erzählen.
Gesprächspartner:innen
Herbert Varga ist gelernter Werkzeugmaschinenmacher. Im Jahr 2018 ist seine Lebensgefährtin unerwartet verstorben, wodurch er die gemeinsame Wohnung verlor, die seine Lebensgefährtin gemietet hatte und in der er nicht gemeldet war. Ihm wurde geraten, sich an die Gruft der Caritas der Erzdiözese Wien zu wenden – dort fand er Unterstützung und einen Schlafplatz in der Notschlafstelle der Gruft. Durch das Programm „Housing-First“ vermittelte die Caritas Herbert wieder eine eigene Wohnung, der daraufhin beim „neunerhaus“ eine Peer-Ausbildung machte und seitdem andere wohnungs- und obdachlose Menschen unterstützt. Mittlerweile arbeitet er bei der Caritas im Haus Jaro, wo nicht krankenversicherte, obdach- und wohnungslose Menschen für bis zu drei Monate einen Wohnplatz erhalten sowie die Möglichkeit, ihren Gesundheitszustand zu verbessern.
Nina Starzer ist Pressereferentin der Caritas der Erzdiözese Wien und hat das Gespräch mit Herbert Varga vermittelt. Zudem hat sie weitere Informationen zur Obdachlosigkeit und den diesbezüglichen Angeboten der Caritas zur Verfügung gestellt (siehe Daten und Fakten).
Daten und Fakten
Im Jahr 2022 lebten 19.667 registrierte Obdach- und Wohnungslose (ohne Doppelzählungen) in Österreich (Statistik Austria: Tabellen 3.5 und 7.2. Die zugrunde liegenden Definitionen findest du hier auf den Seiten 12 ff.).
Rund 60 Prozent der wohnungslosen Menschen sind in Wien registriert. Rund ein Drittel der wohnungslosen Menschen sind Frauen. Ebenfalls rund ein Drittel der Betroffenen ist unter 30 Jahre alt.
Die Caritas der Erzdiözese Wien bietet das gesamte Jahr über mehr als 1.880 Beherbergungsplätze in Notschlafstellen und Wohnhäusern, wo wohnungslose Menschen auch Verpflegung und Beratung erhalten. Von Ende Oktober bis Ende April hat die Stadt Wien im Rahmen des Winterpakets die Zahl der Schlafplätze um rund 1.000 aufgestockt. Im Rahmen der Winternothilfe der Stadt Wien wurden gemeinsam mit dem Fonds Soziales Wien zusätzlich 134 weitere Schlafplätze in Notquartieren der Caritas geschaffen. „Als Caritas würden wir uns wünschen, dass die zusätzlichen Plätze des Winterpakets das ganze Jahr über zur Verfügung stehen. Obdachlosigkeit gibt es 365 Tage im Jahr und betroffene Menschen benötigen diese wichtige Unterstützung das ganze Jahr hindurch“, heißt es von der Caritas der Erzdiözese Wien zur WZ.
Die Gruft wird im 24-Stunden-Modus geführt und ist 365 Tage im Jahr für obdach- und wohnungslose Menschen geöffnet. Im Jahr 2024 fanden in der Gruft mehr als 21.800 Kontakte mit Sozialarbeiter:innen statt. Im selben Zeitraum wurden etwa 18.800 Nächtigungen gezählt. Im Tageszentrum der Gruft gibt es Sitzplätze für etwa 80 Personen. Täglich werden rund 240 Mahlzeiten ausgegeben. Im Jahr 2024 waren es insgesamt mehr als 81.500 Mahlzeiten.
Die Notschlafstelle der Gruft bietet 60 Schlafplätze. 16 von diesen befinden sich in einem eigenen Frauenbereich und sind für weibliche Klient:innen reserviert. Die Notschlafstelle hat von 21:30 Uhr bis 7:30 Uhr geöffnet.
Ein wesentlicher Teil des Angebots der Caritas der Erzdiözese Wien ist die psychotherapeutische Beratung und Begleitung. Im Jahr 2024 wurden rund 700 Gespräche mit 112 Personen geführt.
In der Gruft arbeitet ein multiprofessionelles Team, das aus rund 50 Mitgliedern besteht. Darunter sind Betreuer:innen, Sozialarbeiter:innen, Psychotherapeut:innen, Bürokräfte und Zivildiener.
Quellen
Das „neunerhaus“ ermöglicht obdachlosen und armutsgefährdeten Menschen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben mit medizinischer Versorgung, Wohnen und Beratung.
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Wohnungslosigkeit von Eltern betrifft auch Minderjährige in Wien
Der Standard: Wie Österreich die Obdachlosigkeit beenden will
Kronen Zeitung: Die Wohnungslosigkeit hat in Wien viele Gesichter
Falter.morgen: Housing First: Wie Yvonne G. eine Wohnung und damit eine Perspektive fand
Navigator Film: Zu ebener Erde