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082 - Nach Amoklauf in Graz: Wohin mit dem Trauma?
Livepodcast: Manche Traumata werden sich erst nach Jahren zeigen – andere führen schon jetzt zu Angst, Schlafstörungen oder Albträumen: Im Rahmen der Podcastnacht des Podcaster:innen-Netzwerks Missing Link sprach die Traumatherapeutin Regina Lackner mit der WZ auf der Bühne darüber, was der Amoklauf an einer Grazer Schule mit elf Toten mit unserer Psyche macht. Sie zeigt uns Wege, mit dieser Angst, die nun an Österreichs Schulen und unter den Eltern herrscht, umzugehen.
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Bedrohlich für das körperliche, aber auch das seelische Leben: Traumata können sich sehr unterschiedlich äußern, sagt die Traumatherapeutin Regina Lackner in dieser Folge des WZ-Podcasts „Weiter gedacht“ zu den WZ-Hosts Michael Ortner und Petra Tempfer. Die beiden saßen mit ihrer Gesprächspartnerin diesmal nicht im Studio, sondern im Rahmen eines Livepodcasts bei der Podcastnacht des Netzwerks Missing Link auf der Bühne vor Publikum.
Nach dem Amoklauf an einer Grazer Schule am 10. Juni, bei dem ein ehemaliger Schüler zehn Menschen tötete und sich danach suizidierte, analysiert Regina Lackner drei Tage danach, was dieser mit der Psyche macht. Und zwar nicht nur mit jener der Betroffenen selbst, sondern mit der gesamten Gesellschaft.
Auf das Trauma folge die Angst, sagt Regina Lackner. Jeder reagiere anders, Schlafstörungen oder Albträumen seien möglich – auch noch nach Jahren. Betroffene können Flashbacks haben, in der Gesellschaft habe der Amoklauf das Gefühl der Sicherheit erschüttert.
Sozial eingebettet
Das gemeinsame Gespräch über das Erlebte, das Gefühl, sozial eingebettet zu sein, seien nun wichtig, „um diesen Schmerz, diese Trauer auszuhalten“, sagt Regina Lackner. Gegen die mögliche Angst, weiterhin in die Schule zu gehen, könne helfen, das Schulgebäude nicht allein, sondern in Gruppen zu betreten. So könne das Vertrauen wieder wachsen.
Grundsätzlich brauche es mehr Schulpsycholog:innen, Schulärzt:innen und Sozialarbeiter:innen an Österreichs Schulen. Der Zugang zu psychologischer Hilfe müsse so niederschwellig wie möglich sein, „denn dann ist es auch präventiv“. Auch Trainings, wie sich Schüler:innen und Lehrer:innen bei Amokläufen verhalten sollen, können helfen, die Angst zu reduzieren: „Weil sie ihnen das Gefühl der Handlungsfähigkeit und der Sicherheit geben.“
Produziert von „hört hört!“.
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Infos und Quellen
Genese
Eigentlich hatten sich die WZ-Hosts Michael Ortner und Petra Tempfer für ihren Livepodcast auf der Podcastnacht des Netzwerks Missing Link ganz anders vorbereitet. Sie wollten über die zwei Dokumentarpodcasts der WZ sprechen: „Der weiße Tod“ zum Lawinenunglück von Galtür sowie „Brachland“, der von ehemaligen Frauen-KZ-Gründen in Leobersdorf handelt. Nach dem Amoklauf an einer Grazer Schule, bei dem insgesamt elf Menschen starben, haben sie sich aber entschieden, über diese Tat und deren Folgen aus psychologischer Sicht zu sprechen. Ihre Schnellsuche nach einer/einem Gesprächspartner:in begann sofort im Anschluss und war erst wenige Stunden vor dem Bühnenauftritt vor Publikum erfolgreich.
Gesprächspartnerin
Regina Lackner ist Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin (Katathym Imaginative Psychotherapie) und Traumatherapeutin. Sie hat sich bereits mit vielen Arten von Traumata befasst und war unter anderem nach Amokläufen und auch nach dem Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020 tätig.
Daten und Fakten
- Die Missing Link Podcastnacht fand am 13. Juni im Ehrbar Saal in Wien-Wieden statt. Zahlreiche Podcaster:innen wie Beatrice Frasl (Große Töchter), Michael Nikbakhsh (Die Dunkelkammer) oder Saskia Jungnikl-Gossy (Ganz offen gesagt) standen auf der Bühne.
- Mit dem Begriff Trauma (Mehrzahl Traumata) ist eine psychische Ausnahmesituation gemeint („Psychotrauma“). Diese wird durch überwältigende Ereignisse wie eine Gewalttat, einen Krieg oder eine Katastrophe ausgelöst, die eine Bedrohung für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Betroffenen oder einer nahestehenden Person darstellt (gesundheit.gv.at).
- Bei der Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung steht die Psychotherapie im Mittelpunkt. Spezielle traumatherapeutische Methoden kommen dabei zum Einsatz (Traumatherapie/Traumapsychotherapie). Begleitend können weitere Maßnahmen sinnvoll sein, etwa die Einnahme von Medikamenten. Gute soziale Unterstützung ist ebenso wichtig (gesundheit.gv.at).
- Schusswaffenangriffe an österreichischen Schulen seit 1993:
- Graz (Stmk.) 2025: Ein 21-jähriger ehemaliger Schüler tötet neun Schüler:innen und eine Lehrerin. Danach verübt er Suizid.
- Mistelbach (NÖ) 2018: Ein 19-Jähriger wird von einem anderen Jugendlichen angeschossen.
- St. Pölten (NÖ) 2012: Ein Schüler wird vom Vater erschossen.
- Zöbern (NÖ) 1997: Ein 15-Jähriger tötet eine Lehrerin und verletzt eine weitere schwer.
- Hausleiten (NÖ) 1993: Ein 13-Jähriger verletzt den Direktor schwer und verübt Suizid.
Quellen
- Krisenintervention des Roten Kreuzes
- Hilfe in Krisensituationen und bei Suizidgedanken
- Österreichisches Netzwerk für Traumatherapie
- Kompetenzzentrum Trauma
Das Thema in der WZ
- Amoklauf in Graz: Presserat fordert Opferschutz
- Keine Klicks für Tränen
- Graz nach dem Amoklauf: „Wir Schüler wollen nur unsere Ruhe“
- Kriminologe zu Amoklauf: Ein Täterprofil ist nutzlos
- Viel Lob für Einsatzkräfte, doch was ist mit ihrer Psyche?
- Nach Graz: Österreich, das Land der Waffen
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- US-Schüler:innen leben in ständiger Angst vor Amokläufen
- Video: Land der Berge, Land der Waffen