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083 - Das größte Problem bei HIV ist das soziale Aids
Seit elf Jahren lebt der Berufsfotograf Christopher Klettermayer mit HIV (Humanes Immundefizienz-Virus). Die Diagnose war damals ein Schock – heute geht der 43-Jährige dank entsprechender Medikation entspannt damit um. Das größte Problem sieht er allerdings in der nach wie vor bestehenden Tabuisierung und Diskriminierung in unserer Gesellschaft.
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Als der Berufsfotograf Christopher Klettermayer im Jahr 2014 nach Indien reist, ahnt er noch nicht, dass diese Reise sein Leben massiv verändern wird. Denn für eine Reportage über den Osho-Ashram, eine Art spirituelle Kommune, die mit sexueller Freiheit wirbt, muss er standardmäßig einen HIV-Test machen – und wird positiv getestet. Für Christopher bricht zunächst eine Welt zusammen. Doch weil er recht früh diagnostiziert wird und eine entsprechende Medikation bekommt, die den Ausbruch von Aids dauerhaft verhindern kann, lebt er im Grunde sein Leben ganz normal weiter. Er ist auch überhaupt nicht ansteckend, nicht einmal beim Geschlechtsverkehr, solange er täglich eine Tablette nimmt.
Was ihm – und vermutlich den meisten HIV-Infizierten – aber zu schaffen macht, ist das soziale Aids, wie Christopher in dieser Folge unseres WZ-Podcasts „Weiter gedacht“ erzählt. Denn nach wie vor gibt es in unserer Gesellschaft nicht nur viel Unwissen, sondern auch viele Vorurteile in Bezug auf HIV und Aids. Darüber spricht Christopher mit WZ-Redakteur Mathias Ziegler, der gemeinsam mit WZ-Host Petra Tempfer durch die Folge führt.
Produziert von „hört hört!“.
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Infos und Quellen
Genese
Bis 2020 hat jeden Juni der von Gery Keszler organisierte Life Ball stattgefunden, der neben dem Welt-Aids-Tag am 1. Dezember der zweite jährlich wiederkehrende Termin im Zeichen von HIV und Aids war. Weil aber offenbar immer noch viel Unwissen zum Thema HIV und Aids herrscht, das mit Vorurteilen einhergeht, widmen wir ihm eine Folge unseres WZ-Podcasts „Weiter gedacht“.
Gesprächspartner
Christopher Klettermayer wurde 1982 geboren und lebt als Profifotograf in Wien und Barcelona. 2014 wurde er bei einer Arbeitsreise in Indien positiv auf das HI-Virus getestet und hat sich seither der gesellschaftlichen Aufklärung zu HIV und Aids verschrieben.
Daten und Fakten
Rund 9.000 Menschen in Österreich leben mit dem HI-Virus, etwa die Hälfte von ihnen ist in Wien zuhause. 85 Prozent der Infizierten in Österreich bekommen eine antiretrovirale Therapie. Neben dieser Dauermedikation gibt es auch noch die sogenannte PrEP (Präexpositionsprophylaxe) und die PEP (Postexpositionsprophylaxe) zur Vorbeugung einer HIV-Infektion. Die PrEP nimmt man im Vorhinein, um sich vor einer Ansteckung zu schützen, während die PEP eine Art Pille danach ist, die man bis zu 24 Stunden später einnehmen kann, wenn die Gefahr besteht, sich angesteckt zu haben.
Allerdings haben laut der Aids-Hilfe 42 Prozent der Betroffenen in Österreich erst spät – oder zu spät – von ihrer HIV-Infektion erfahren, und geschätzte 8 bis 10 Prozent wissen noch gar nichts davon. Manche Quellen gehen sogar von einer Dunkelziffer von bis zu 6.000 Personen aus. Die vor 40 Jahren gegründete Aids-Hilfe bietet kostenlose und anonyme HIV-Tests an. Außerdem kann man sich auch auf andere Geschlechtskrankheiten testen lassen.
Je später die Diagnose erfolgt, desto schwerwiegender sind die gesundheitlichen Folgen. Laut einer Studie aus England hat eine 20-jährige Person mit einer späten Diagnose eine um zehn Jahre kürzere Lebenserwartung als jemand ohne HIV. Und wenn sie besonders wenige Abwehrzellen hat, weil das Virus sie schon zerstören konnte, sinkt die Lebenserwartung statistisch gesehen sogar um 20 Jahre. Bei einer frühen Diagnose ist die Lebenserwartung hingegen annähernd gleich wie ohne HIV. Und die 42 Prozent spätdiagnostizierten Patient:innen in Österreich brauchen 92 Prozent der spitalsbezogenen Ressourcen und 68 Prozent der gesamten Behandlungskosten aller HIV-Positiven.
Laut Zahlen zu den vergangenen 25 Jahren waren etwas weniger als die Hälfte der Neuinfizierten homosexuell (vor allem Männer), ein Drittel heterosexuell (davon die Hälfte Frauen), und 12 Prozent haben sich durch Drogeninjektionen infiziert.
Während man HIV medizinisch heute gut in den Griff bekommt, ist das soziale Aids immer noch ein großes Problem. Jahr für Jahr wenden sich mehr Menschen an die Aids-Hilfe, weil sie aufgrund ihrer HIV-Infektion diskriminiert werden. Ob die Zahl wächst, weil es tatsächlich mehr Fälle von Diskriminierung gibt, oder weil sich mehr Betroffene Hilfe holen, ist schwer zu sagen. Die meisten Fälle verzeichnet die Aids-Hilfe im Gesundheitsbereich:
Als Meilenstein sieht die Aids-Hilfe hier ein Urteil aus dem Jahr 2023, das sie gemeinsam mit dem Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern durchgesetzt hat. Darin wurde ausdrücklich festgehalten, was im Grunde schon lange geltendes Recht ist: Eine HIV-Infektion darf kein Grund für schlechtere oder gar keine ärztliche Behandlung sein. Damals ging es um die Ablehnung einer zahnärztlichen Behandlung – eine Situation, die auch unser Podcast-Gesprächspartner Christopher Klettermayer selbst erlebt hat.
Quellen
- Christopher Klettermayer: Künstlerische Tätigkeiten
- Christopher Klettermayer: The Art of Storytelling
- Christopher Klettermayer: Sexual & Relationship Counsellor
- Christopher Klettermayers Text unter Pseudonym über seine HIV-Infektion
- Statistik der Österreichischen Aids Gesellschaft
- Kostenlose HIV-Testangebote
- Positive Buddys
- Ages-Daten zu HIV -Infektionen in Österreich
- Heilung von HIV-Patienten an der Berliner Charité
- Diskriminierung von HIV-Positiven im Gesundheitswesen
- HIV-Diskriminierung melden
- Keine Angst vor HIV (Youtube-Video)