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020 - Wie wird man Terrorist:in?

Sie sollen Babys geköpft und verbrannt haben, und sie haben 1.300 Menschen getötet und rund 200 Zivilist:innen verschleppt: Die Terrorist:innen der radikalislamistischen Hamas, die im Gazastreifen Palästinas im östlichen Mittelmeer regiert, hat am 7. Oktober einen Angriff auf Israel gestartet. Die Hamas wird von der EU und den USA als terroristische Organisation geführt. Was in den Köpfen der Hamas-Terrorist:innen vorgeht, wie offenbar sämtliche Hemmschwellen fallen und wie sie überhaupt erst radikalisiert werden konnten, lässt sich WZ-Redakteurin und Host Petra Tempfer von dem Nahost-Experten und Islamwissenschaftler Udo Steinbach aus Berlin erklären.

21 Min

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Vor allem junge Männer gehen zur Hamas.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Midjourney

Sie suchen bewusst das Abscheuliche. Sie suchen die Dramatik, um den Mobilisierungseffekt ihrer Tat zu eskalieren, sagt der Nahost-Experte und Islamwissenschaftler Udo Steinbach zu WZ-Redakteurin Petra Tempfer: Die Terrorist:innen der Hamas gehen „mit einem erheblichen Maß an Rationalität vor". Von Gehirnwäsche könne nicht die Rede sein.

Dass sie Israel angegriffen haben, hat eine lange Vorgeschichte. Israel riegelt den Gazastreifen seit Jahren ab, die Menschen leben dort zusammengepfercht und perspektivlos. Daher seien es vor allem die jungen Männer, die zur Hamas gehen, sagt Steinbach – die, die im Hintergrund die Fäden ziehen, seien allerdings älter. Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sei somit ein nationaler, der Islam spiele jedoch eine verschärfende Rolle.

Viele der rund zwei Millionen Menschen im Gazastreifen seien nicht einverstanden mit der terroristischen Art der Konfliktlösung. „Aber eine terroristische Organisation löst sich ab einem bestimmten Punkt von der Gesellschaft und nimmt das Heft des Handelns in die Hand", sagt Steinbach. Ein Leben im Terrorismus müsse jedoch nicht das Ende sein. Der Funken Hoffnung sei, dass sich die, die sich jetzt bekriegen, auch einmal an einen Tisch setzen und verhandeln können.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner

Portrait Udo Steinbach
Der Nahost- und Mittelost-Experte und Islamwissenschaftler Udo Steinbach aus Berlin.
© Michael Zapf, akg-images, picturedesk.com

Udo Steinbach ist Nahost- und Mittelost-Experte und Islamwissenschaftler. Er lebt in Berlin. Von 1976 bis 2006 leitete er das Deutsche Orient-Institut. Seit 1991 ist Udo Steinbach Honorarprofessor an der Universität Hamburg und seit 2019 Leiter des MENA (Middle East and North Africa) Study Centre, einer im Rahmen der Maecenata Stiftung eigenständig operierenden Arbeitseinheit. Es unterstützt die Programme und Aktivitäten der Stiftung, die die Region Nah- und Mittelost sowie darüber hinaus den islamischen Raum zum Gegenstand haben.

Daten und Fakten

  • Wie kam es zum Angriff der Hamas auf Israel? Der Gazastreifen, von dem aus die Hamas angreift, wird von Israel seit vielen Jahren hermetisch abgeriegelt; der Küstenstreifen, der kleiner ist als das Wiener Stadtgebiet, gilt als großes Freiluft-Gefängnis. Die Menschen leben dort zusammengepfercht, das Leben in Gaza ist von Armut und Perspektivlosigkeit geprägt, vor allem von den Jungen wird das als große Belastung erlebt. Zuletzt hat die israelische Regierung, in der ultranationalistische und religiöse Kräfte großes Gewicht haben, den Druck auf die Palästinenser weiter erhöht. Nach dem Angriff vom 7. Oktober wird der schmale Küstenstreifen durch eine Totalblockade unter anderem von Nahrungsmitteln abgeschnitten. Auch ein Stopp der Strom- und Wasserversorgung durch Israel wurde befohlen (WZ).

  • Israel hat den Kriegszustand ausgerufen. Großräumig rund um den Gazastreifen sowie entlang der Grenze zum Libanon und zu Syrien besteht eine partielle Reisewarnung (Bundesministerium europäische und internationale Angelegenheiten).

  • Die Hamas ist ist eine radikalislamische Palästinenserorganisation. Sie wurde 1987 als Zweig der Muslimbruderschaft unter anderem von Ahmad Yasin gegründet. Sie besteht aus den paramilitärischen Kassam-Brigaden, einem Hilfswerk und einer politischen Partei (Wikipedia).

  • Die PLO, die Palästinensische Befreiungsorganisation (Palestine Liberation Organization), wurde am 28. Mai 1964 in Jerusalem auf Initiative der Arabischen Liga gegründet, um eine Vertretung des arabischen Volkes in Palästina zu schaffen (Vertretung des Staates Palästina in Österreich).

  • Die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, strebte ursprünglich einen unabhängigen sozialistischen Staat „Kurdistan“ auf einem Teil des türkischen Staatsgebiets an. Deshalb führte sie ab 1984 einen Guerillakrieg gegen die Türkei, der über die Jahrzehnte mehrere zehntausend Opfer gefordert hat (Verfassungsschutz BW).

  • Die Front de Libération Nationale (FLN) oder Nationale Befreiungsfront war die einzige verfassungsmäßig legale Partei in Algerien von 1962 bis 1989. Die Partei war eine Fortsetzung einer Befreiungsbewegung, die den algerischen Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich (1954 bis 1962) leitete (Britannica).

Eine Karte von Israel und den Palästinensergebieten.
Israel, der Gazastreifen und die Palästinensergebiete.
© Illustration: WZ

Quellen

Archiv:

Politische Gründe, nämlich die erzwungene Eingliederung Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn, waren auch der Auslöser für das Attentat von Sarajevo: Am 28. Juni 1914 ermordete der nationalistische Geheimbündler Gavrilo Princip den Thronfolger Österreich-Ungarns, Erzherzog Franz Ferdinand, und seine Gemahlin Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg, bei ihrem Besuch in Sarajevo. Das Attentat löste den Ersten Weltkrieg aus. Einen Tag danach, am 29 Juni 1914, erschien die gesamte Seite 1 der Wiener Zeitung schwarz umrahmt und mit der Todesnachricht des Thronfolgers.

Auch die folgenden Seiten widmeten sich ausschließlich diesem Thema. Auf Seite 7 war zum Beispiel zu lesen, wie die Wiener Bevölkerung vom Attentat erfuhr: In der Stadt hatte sich die Nachricht von der schaudererregenden Untat von Mund zu Mund blitzschnell verbreitet. Es waren durchwegs unsichere Gerüchte, niemand wusste etwas Bestimmtes zu sagen, doch wollten diese Gerüchte nicht verstummen, und je mehr sie Verbreitung fanden, desto größer wurden die Trauer über das furchtbare Unglück und die Erregung über die verabscheuungswürdige Tat. Die öffentlichen Stellen und die Zeitungsredaktionen wurden mit telefonischen Anfragen bestürmt, in den Kaffeehäusern und anderen öffentlichen Lokalen bildete die Schreckensnachricht sehr bald das ausschließliche Gespräch, hier und in den Straßen sah man Gruppen einander fremder Menschen, welche die Unglückskunde überaus erregt diskutierten.

Screenshot der Wiener Zeitung vom 29. Juni 1914, Seite 1 mit der Todesnachricht des Erzherzogs nach dem Attentat von Sarajevo.
Am Tag nach dem Attentat von Sarajevo auf Erzherzog Franz Ferdinand erschien die gesamte Seite 1 der Wiener Zeitung schwarz umrahmt und mit der Todesnachricht.
© 29. Juni 1914, Seite 1, ANNO/Österreichische Nationalbibliothek
Screenshot der Seite 7 der Wiener Zeitung nach dem Attentat von Sarajevo mit der Passage darüber, wie die Wiener Bevölkerung davon erfuhr.
Auf Seite 7 war zu lesen, wie die Wiener Bevölkerung vom Attentat erfuhr.
© 29. Juni 1914, Seite 7, ANNO/Österreichische Nationalbibliothek

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