Zum Hauptinhalt springen

012 - Wo der Feminismus wurzelt

Wer kann sich das heute noch vorstellen, dass Frauen vor weniger als 50 Jahren nicht arbeiten gehen durften, wenn ihr Ehemann das nicht wollte? Sie durften auch nicht über ihren Wohnsitz mitentscheiden und nicht einmal den Familiennamen wählen. Es waren - was nachvollziehbar ist - hauptsächlich Frauen, die diese Rechte erkämpften. Wie schon davor das Wahlrecht und das Recht, zu studieren. Auf den Spuren dieser Frauen bewegt sich Podcast-Studio-Gast Petra Unger, die unter anderem Akademische Referentin für feministische Bildung ist, indem sie Frauen*Spaziergänge durch Wien veranstaltet. Mit WZ-Redakteurin Petra Tempfer spricht sie über Frauen, die hier Geschichte geschrieben haben - und darüber, wie sich die Geschichte bis heute fortschreibt.

36 Min

Auf einer anderen Plattform anhören:

Ziel der Feminist:innen ist, dass sich die Gesellschaft in Richtung gelebte Demokratie bewegt.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Midjourney

Wenn Frauen sich zusammenschließen, kommt vieles in Bewegung. Am 19. März 1911 zum Beispiel zogen 20.000 Frauen über die Wiener Ringstraße und forderten das Wahlrecht, das Recht auf Bildung und auf Schwangerschaftsabbruch - und zwar Arbeiterinnen und vermögende Frauen gemeinsam. 1918 erhielten alle Frauen das Wahlrecht, bis auf die Sexarbeiterinnen. Deren Wahlrecht folgte mit der österreichischen Bundesverfassung rund zwei Jahre später. Erst 1945 wurde das Studienverbot für Frauen an allen Uni-Fakultäten aufgehoben. Bis die erste Frau im Parlament saß, sollten allerdings noch Jahrzehnte vergehen: Anfang 1991 wurde Johanna Dohnal als erste Frauenministerin Österreichs angelobt.

Podcast-Gast Petra Unger, die Akademische Referentin für feministische Bildung und Politik ist, besucht geschichtsträchtige Orte wie die Wiener Ringstraße, den Gürtel oder das Parlament, um den Frauen, die dort ihre Rechte erkämpft haben, „ihre Geschichte zurückzugeben", sagt sie im Gespräch mit Host Petra Tempfer: Sie veranstaltet sogenannte Frauen*Spaziergänge durch Wien.

Die Initialzündung für die erste Frauenbewegung war bereits 1848, sagt sie. Politisch engagierte Frauen trafen einander im Volksgarten und gründeten in Folge den „Ersten Wiener Demokratischen Frauenverein". Eine der Forderungen war, dass Menschenrechte auch für Frauen gelten sollten. Das Ziel sämtlicher Frauenbewegungen sei aber nicht die Gleichberechtigung der Frauen allein, sagt Petra Unger. Es gehe um viel mehr: Nämlich darum, dass sich alle gemeinsam in Richtung Demokratie bewegen. Denn: „Feminismus ist eine ganz starke Kraft der Demokratisierung der Gesellschaft", so Petra Unger.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Genese

Durch Zufall erfuhr WZ-Redakteurin Petra Tempfer von den Wiener Frauen*Spaziergängen: Ein Bekannter erzählte ihr, dass er an einem Spaziergang teilgenommen habe - nicht ganz freiwillig, weil ihn seine Freundin mitgenommen hatte. Schließlich hätten ihn die Geschichten der Frauen, die er auf dem Spaziergang kennenlernte, aber selbst extrem interessiert. Das machte Petra Tempfer neugierig – und sie wollte mehr dazu aus erster Hand erfahren.

Gesprächspartnerin

Petra Unger, Akademische Referentin für feministische Bildung und Politik, im Podcast-Studio von Missing Link.
Petra Unger, Akademische Referentin für feministische Bildung und Politik, im Podcast-Studio.
© Stefan Lassnig

Petra Unger ist Begründerin der Wiener Frauen*Spaziergänge, arbeitet als Kulturvermittlerin, Akademische Referentin für feministische Bildung und Politik sowie als Expertin für Gender Studies und Feministische Forschung.

Ihr praktisches Wissen aus langjähriger Tätigkeit in verschiedenen Museen und im öffentlichen Raum Wiens verbindet sie mit Forschungen zu politischer Frauen*Bewegungsgeschichte, Frauen*Kunstgeschichte unter feministischen Aspekten und Biographieforschung.

Daten und Fakten

  • Feminismus bezeichnet soziale Bewegungen – insbesondere die Frauenbewegung –, die sich die Durchsetzung der gesellschaftlichen, politischen, juristischen und auf das Arbeitsleben bezogenen Rechte der Frauen und damit die Beseitigung der sozialen und politischen Benachteiligung der Frauen zum Ziel gesetzt haben (Wikipedia).

  • Johanna Dohnal (1939–2010) war Feministin und SPÖ-Politikerin und wurde Anfang 1991 als erste Frauenministerin Österreichs angelobt (Stadt Wien).

  • Amalie Seidel (1876–1952) war ein Kind der Arbeiterklasse und organisierte am 3. Mai 1893 gemeinsam mit Adelheid Popp den ersten Textilarbeiterinnenstreik. Später wurde sie Mitglied des Nationalrats und gehörte damit zu den ersten weiblichen Nationalratsabgeordneten. Sie gehörte der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) an. 1934 wurde sie verhaftet und kam für einen Monat ins Gefängnis (Österreichische Nationalbibliothek, Wien Geschichte Wiki).

  • Adelheid Popp (1869–1939) war die erste Berufspolitikerin Österreichs, die aufgrund ihres Engagements von ihrer Partei angestellt wurde. Sie gehörte der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) an. Mit Hildegard Burjan brachte sie das erste Arbeitsschutzgesetz durch (Wien Geschichte Wiki).

  • Hildegard Burjan (1883–1933) setzte sich für die Organisierung der christlichen Arbeiterinnen ein und gründete 1912 den Verein christlicher Heimarbeiterinnen. 1919 war sie die erste und einzige weibliche Abgeordnete der Christlichsozialen Partei (CSP) in der konstituierenden Nationalversammlung. Mit Adelheid Popp brachte sie das erste Arbeitsschutzgesetz durch (Österreichische Nationalbibliothek, Wien Geschichte Wiki).

  • Barbara Prammer (1954–2014) war Frauenministerin, SPÖ-Nationalratsabgeordnete und von 2006 bis zu ihrem Tod 2014 die erste Präsidentin des Nationalrats (Wien Geschichte Wiki).

  • Heide Schmidt (geb. 1948) gründete 1993 eine neue Partei, das Liberale Forum. Von 1990 und 1994 war sie Dritte Präsidentin des Nationalrats (Parlament Österreich).

  • Grete Rehor (1949–1970) war ÖVP-Nationalratsabgeordnete und bis zu ihrem Tod Bundesministerin für soziale Verwaltung (Parlament Österreich, Wien Geschichte Wiki).

Folgende Frauen haben sich eingesetzt, Mädchen zur Matura zuzulassen:

  • Marianne Hainisch (1839–1936) war 1866 Gründungsmitglied des "Frauen-Erwerb-Vereins" und forderte 1870 die Errichtung von Realgymnasien für Mädchen und die Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium (Wien Geschichte Wiki).

  • Auguste Fickert (1855–1910) war eigentlich Schriftstellerin, kam aber mit sozialdemokratischen Kreisen in engen Kontakt. 1893 gründete sie zusammen mit Rosa Mayreder und Marie Lang den Allgemeinen Österreichischen Frauenverein". Im Zentrum ihrer Tätigkeit stand die Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen, nach einer Reform des Ehe- und Familienrechts, nach dem Zugang der Frauen zum Hochschulstudium, nach Abschaffung der Prostitution (Wien Geschichte Wiki).

  • Rosa Mayreder (1858–1938) gründete 1897 zusammen mit Olga Prager und Kurt Federn die Kunstschule für Frauen und Mädchen, da Frauen bis dato kaum Möglichkeiten hatten, an staatlichen Schulen Kunst zu studieren. 1899 gab sie gemeinsam mit Auguste Fickert und Marie Lang die Zeitschrift Dokumente der Frauen" heraus, in der sie auch selbst Essays veröffentlichte (Wien Geschichte Wiki).

  • Marie Lang (1858–1934) setzte sich vor allem für Mutterschutz und die Rechte unehelicher Kinder ein. Sie trat gegen die Reglementierung der Prostitution auf. Außerdem kämpfte sie für die Aufhebung des Lehrerinnenzölibats" – berufstätigen Frauen in einigen Berufsgruppen war die Eheschließung verboten (Wien Geschichte Wiki).

Sie war eine der Ersten, die einen Sammelband an Frauenbiografien aus der Geschichte herausgegeben hat:

  • Emma Adler (1858–1935) war Übersetzerin, Schriftstellerin und Politikerin der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Ihr Hauptwerk, Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789-1795", erschien 1906 (Wien Geschichte Wiki).

Quellen

Archiv:

  • Aus dem Archiv der Wiener Zeitung vom 28. August 1848 (Seite 4):

    Das Jahr 1848, das von Lohnkürzungen und Arbeiterprotesten geprägt war, war auch für die Frauen ein entscheidendes. Am 28. August dieses Jahres schrieb die Wiener Zeitung über das erste organisierte Treffen vorwiegend bürgerlicher Frauen in Wien, das die Gründung des ersten Frauenvereins zur Folge hatte, auf Seite 4: Auch Wien hat seinen Frauen-Club! Heute Vormittag fanden sich gegen 300 Frauen im Saale des Volksgartens zu einer Versammlung ein, welche eine Ungenannte durch ein Plakat berufen hatte. Das Lokale durch seine bis zur Erde reichenden großen Fenster bot den neugierigen Herren willkommene Gelegenheit, sich die Geschichte zu beschauen. So anständig die Frauen sich aber benahmen, so wenig ritterlich die Herren, die sogar manche Fenster zerbrachen. Dadurch scheint die Urheberin des Ganzen so eingeschüchtert worden zu sein, dass sie erst dann hervortrat, als sich alles aufzulösen schien […]. Endlich bestieg sie auf allgemeines Verlangen einen Tisch und erklärte den projektierten Zweck der Versammlung dahin: Vermittlung zwischen Nationalgarde und Arbeitern sowie Sammlung von Beiträgen, um die Arbeiterinnen für die ihnen entzogenen 5 Franken zu entschädigen.

Weiterführende Links:

Das Thema in der WZ

Über Komponistinnen und warum sie nahezu unsichtbar sind, spricht der Kultur-Experte Edwin Baumgartner im Podcast „#14 Können Frauen überhaupt komponieren?" mit Host Petra Tempfer.

Das Thema in anderen Medien


Habt ihr Fragen oder Vorschläge für unsere nächsten Folgen? Dann schickt uns eine Sprachnachricht über WhatsApp. Die Nummer lautet: +43 664 834 8344. Unseren Podcast könnt ihr auf Spotify, Apple, Google und anderen Plattformen kostenlos abonnieren.

Wir bitten um Feedback unserer Hörer:innen an feedback@wienerzeitung.at