An die Feier der Hauptschule Spitz anlässlich der Staatsvertragsunterzeichnung im Mai 1955 kann ich mich gut erinnern. Ich besuchte damals die vierte Klasse. Wir Schüler erhielten ein kleines Buch, schwarz-weiß illustriert, mit dem Titel "Unser Österreich 1945-1955". Dieses Buch habe ich heute noch. Es ist etwas abgegriffen, weil ich es im Laufe des Lebens oft in die Hand genommen habe; es ist, so wie die Briefträgerkappe meines Vaters, für mich identitätsstiftend.

Mutter teilte das Schicksal vieler alleinerziehender Frauen, die im Krieg ihren Mann verloren. Sie hat auf vieles verzichten müssen, ihre Aufgabe aber gemeistert. Sie starb im 90. Lebensjahr. Den beruflichen Weg ihrer beiden Söhne konnte sie miterleben.

Bei der Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur EU im Juni 1994 stimmte ich mit Ja. Ich stand damals unter keinem Zwang. Es war eine freie und geheime Abstimmung. Unter konträren Umständen musste Vater im März 1938 abstimmen: Es gab keine Wahlzelle und der Druck, mit Ja zu stimmen, war groß.

Das Erinnerungsbuch, das ich 1955 erhielt, endet mit den Sätzen: "Du wirst den ersten Tag des Jahres 2000 erleben. Trag dazu bei, dass das neue Jahrtausend ein glückliches Österreich in einer glücklichen Welt finde." Beruflich hatte ich die Chance, mit 28 Jahren in den Gemeindedienst einzutreten, die Verwaltung einer Großgemeinde aufzubauen und im Rahmen der Möglichkeiten das öffentliche Leben mitzugestalten.

Das Jahr 2000 habe ich in Gesundheit erlebt. Wenn ich vor dem Kriegerdenkmal stehe, bin ich dem Schicksal dankbar. Mein Vater wurde im Friedensjahr 1903 geboren und starb im Krieg. Ich wurde im Kriegsjahr 1940 geboren und lebe im Frieden.

Herbert Trautsamwieser,

Pensionist (Jg. 1940),

3621 Mitterarnsdorf