Kurz nach Kriegsende 1945 - ich war damals fünf Jahre alt - wurde meine Familie von Russen in eines der unzerstörten Häuser Wiener Neustadts übersiedelt, weil meine Mutter fließend russisch sprach und für in diesem Haus untergebrachten russischen Offiziere mit ihren Familien dolmetschen sollte. Es war ein großes Haus mit großem Hof und mit circa 30 russischen Familien. Ich hatte niemanden zum Spielen, sah aber die russischen Kinder im Hof herumtollen und erhielt von Mutter die Erlaubnis, in den Hof zu gehen. Irgendwie wurde ich in die Spielgemeinschaft aufgenommen und konnte nach wenigen Monaten, was ich auf Deutsch sagen konnte, auch auf Russisch sagen.

Mutter dolmetschte inzwischen auf der russischen "Kommandatur" und war tagsüber für die Offiziersfrauen nicht verfügbar. Daher wandten diese sich immer öfter an mich, den "malinkij piriwotschik", den kleinen Dolmetscher, wenn sie etwas brauchten. Eines Tages kam ein russischer Offizier in die Wohnung und sagte, ich solle mit ihm ins Theater gehen. So unglaublich es scheint - in Wiener Neustadt gab es bereits einige Monate nach Kriegsende eine deutschsprachige Theateraufführung! Der Offizier nahm mich ins Theater mit und erwartete von mir offensichtlich eine Simultanübersetzung des Stücks, was natürlich kläglich danebenging, weil ich das Stück nicht einmal auf Deutsch verstanden habe. Er war mir aber nicht böse, blieb mit mir bis zum Ende der Vorstellung und gab mich dankend an Mama und Oma zurück.

Ich habe Russisch später nicht mehr gebraucht und größtenteils wieder vergessen. Aber unlängst - 73 Jahre später - hat mir eine Russin gesagt, dass ich die wenigen Sätze, die ich noch weiß, akzentfrei ausspreche.

Dr. Anton Schmeikal (Jg. 1940) Pensionist,

2345 Brunn am Gebirge