Ich entstamme einer Handwerkerfamilie. Wir wohnten in Wien Hernals, und ich hatte vier Brü-der und eine Schwester. Einer unserer Großväter war Perlmutterdrechsler, der zweite hatte als Steinmetz beim Bau eines Ringstraßengebäudes mitgearbeitet.

Mein Vater, Jahrgang 1883, war als gelernter Tapezierer in einer größeren Werkstätte tätig. Wenn es keine Aufträge gab, war er arbeitslos; es war in den schweren dreißiger Jahren in der Zwischenkriegszeit.
Ein ständiger Kunde beim Meister war Herr Prof. Sigmund Freud. Da wurde der Vater ausdrücklich zweimal jährlich zur Arbeit in die Wohnung und in die Ordinationsräume in der Berggasse gerufen. Es galt, die schweren Vorhänge von allen Fenstern abzuhängen und zu reinigen, die Polstermöbel zu säubern und die Tapeten an den Wänden zu überprüfen und eventuell zu erneuern.
Der Herr Professor war ein starker Zigarrenraucher, deshalb wollte er das durchführen lassen. Nach mehreren Arbeitstagen vor Ort wurde mein Vater ordentlich entlohnt. Doch damit nicht genug! Am Tag vor dem Heiligen Abend brachten morgens zwei Männer einer Speditionsfirma eine schwere Holzkiste in unsere Wohnung, deren Inhalt waren Geschenke für die ganze Familie: eine bratfertige Gans, Lebensmittel wie Zucker, Reis, Kaffee, Obst wie Orangen und Bananen. Es gab auch reichlich Süßigkeiten und Spielzeug für mich und die zwei jüngsten Buben.
Unsere zwei Ältesten lebten als "Lehrlinge gegen Kost und Logis" (so hieß das damals) bei ihrem Lehrherrn. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an einen schönen Fußball aus Leder, ein anderes Mal an einen Eisenbahnzug mit Schlüssel zum Aufziehen, damit er fahren konnte, und an ein Segelboot, das bei nächster Gelegenheit am Hanselteich in Neuwaldegg "zur See gelassen" wurde.
Die größere Schwester erhielt praktische Dinge. Die Weihnachtsfreude war riesengroß, und unsere Eltern konnten uns mehrmals ein schönes Fest bereiten. Die letzte dieser Kisten traf am 23. Dezember 1937 bei uns ein.
Ing. Erich Unmuth (Jg. 1926), Pensionist,
1190 Wien