Im Sommer 1947 kam Mutter auf die Idee, mich mit dem Zug allein zu den Großeltern nach Oberburgau (Ablauf vom Mondsee) zu "verschicken". Die hatten zwar auch nichts, aber einen Garten, aus dem ich meinen Vitaminbedarf decken könnte. Alle Wiener Tanten legten Mehl und Zucker zusammen, gemeinsam wurden für die Fahrt Kekse gebacken. Zeitig in der Früh ging es zum zerbombten Westbahnhof. Zugfahren kannte ich schon, da wir auf der Flucht vor den Bomben in Wien nach Kriegsende in Linz gelandet waren. Anschließend fuhren wir wieder mit dem Zug donaulinksseitig zurück.

Dampflokomotiven, Waggons, Holzbänke, Schaffner - und Russenuniformen waren mir geläufig. Mein Gepäck war ein kleiner, fast leerer Kinderrucksack, eine ungebrauchte Schultasche aus Pappkarton und die Schachtel mit den Keksen. Mutter setzte mich in einen Waggon, nicht ohne Schaffner und Fahrgäste auf mich aufmerksam zu machen. Sie bat, auf mich aufzupassen und mich in Salzburg aussteigen zu lassen.

Einen beschrifteten Karton hatte ich um den Hals. Name, Zwischenziele und das Endziel mit der Ischlerbahn in Scharfling waren vermerkt. Über viele Stationen ging es zugig, ruckelnd, rauchend und pfeifend durch Niederösterreich. Voll Konzentration auf die Kekse merkte ich dennoch eine zunehmende Anspannung im Waggon bis zu einem längeren Halt. Wir waren vor der Ennsbrücke an der Demarkationslinie angelangt. Von Weitem hörte man russisches Geschrei, wenn ein Passagier aus dem Zug geholt und mit vorgehaltener "Puschka" vorbeigetrieben wurde.

Endlich fuhr der Zug weiter. Schon auf der Ennsbrücke machte sich befreite Fröhlichkeit breit. Am anderen Ufer wurden freundlich grinsende, kaugummikauendende GIs erleichtert begrüßt. Mein erster "Schwarzer" aus der Nähe, damals noch "Neger", war auch dabei. Nach längerer Zeit erreichten wir den zerbombten Salzburger Hauptbahnhof. Nun musste ich mich zum Ischlerbahnhof durchfragen. Erschwert wurde dies, da ich Schilder wegen Holzplanken schwer lesen konnte.

Endlich war ich beim Lokalbahnhof, konnte mir mit abgezähltem Geld die Karte kaufen und wartete auf die Abfahrt. Diesmal musste ich selbst um Hilfe bitten, um "Scharfling" nicht zu versäumen. Nach einigen Stunden kam ich bei Mondschein an und wurde vom Großvater abgeholt. Nach zwei Stunden zu Fuß wurden wir in Oberburgau von der Oma glücklich empfangen.

Nach zwei Monaten war ich soweit aufgepäppelt, dass ich bei der Heimreise mein Reisegepäck, voll mit Gemüse, Obst und Marmeladen schleppen konnte. Ein von der Oma selbst genähtes Hemd war auch dabei. Meine Schulkarriere konnte beginnen!

Ing. Otto Haider (Jg. 1941),

Buchautor,

3970 Weitra