Als ich Kind war, gab es Bücher nur zum Geburtstag und zu Weihnachten. Das Geld war knapp und noch knapper der Platz in der Wohnung im Karl-Seitz-Hof, genannt die Gartenstadt, in Wien-Floridsdorf. Trotzdem gelang es mir, jede Woche sechs Bücher zu lesen. Dank des Bücherbusses, der jeden Montag pünktlich um 17 Uhr vor der Stiege eins des Gemeindebaus stand. Fünf Bücher durfte jedes Kind ausleihen. Da ich meist die Erste der Wartenden war, gelang es mir, knapp vor Abfahrt des Busses um 19 Uhr schon das erste Buch zu retournieren, rasch noch eines zu beheben und so das Limit zu erweitern.

Karl-Seitz-Denkmal vor der Stiege 1 der "Gartenstadt". - © privat
Karl-Seitz-Denkmal vor der Stiege 1 der "Gartenstadt". - © privat

Nichts wurde zu Wochenbeginn freudiger erwartet als der lange rote "Tatzelwurm" voll mit Büchern und groß war die Trauer, als es hieß, dass die Gemeinde Wien diesen Bücherservice einstellt. Richtig bewusst wurde mir der Verlust, als die Tafeln zur Reservierung des Bus-Parkplatzes abmontiert wurden. Die quasi zur Haustüre gebrachten Bücher waren plötzlich weg, die Liebe dazu aber blieb und wird bis heute genussvoll ausgelebt.

Hofrätin i. R. Ilona Gälzer, ehem. Universitätsdirektorin (Jg. 1948),

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