Mein Vater hatte am 9. Mai 1945 die provisorische Leitung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg übernommen, unterstützt von einem "Komitee der antifaschistischen Parteien". Mit den lokalen Besatzungsmächten kamen sie gut aus, Massaker, größere Plünderungen und Demontagen von Fabriken konnten vermieden werden.

Eines Abends fand ein denkwürdiges Abendessen statt. Vater hatte sich mit einem Sowjet-Major namens Aleksandrow angefreundet. Der kam als Gast, in Uniform, mit Orden, erstaunlicherweise ohne Politkommissar, der aufgepasst hätte, was er so sagt (er sprach gut deutsch, im Zivilberuf war er Matheprofessor). Das Essen verlief in freundschaftlichster und zivilisiertester Stimmung - wenige Wochen, nachdem Soldaten einander noch auf Leben und Tod bekämpft hatten. Aleksandrow sagte zu Vater: "Dein Sohn - mein Sohn - kommt zum Studieren in die Sowjetunion." Daraus wurde später nichts - sonst wäre aus mir vielleicht noch ein strammer KP-Apparatschik geworden.
Bald darauf Abzug der Sowjets aus der Steiermark, sie übergaben an die Briten. Major Aleksandrow hinterließ Vater ein mit 23. 7. 45 datiertes Foto mit Abschiedsgruß: "Auf das österreichische Volk!" (das er offenbar deutlich vom deutschen unterschied). Vater hörte nie mehr von ihm.
Mein Vater hatte schon in der Kriegszeit einen kroatischen Adlatus namens Cesar Dragan, der in Wien Tierarznei studiert hatte. Mit dem bestand noch jahrelang Briefkontakt. Er lebte in Zagreb. Nach 1945 kam er einmal auf Besuch zu uns. Visaerfordernisse und Devisenbeschränkungen zogen einem Reiseverkehr in den ersten Nachkriegsjahren noch enge Grenzen. Sogar nach Westeuropa: Es war 1948 eine Sensation, als einem einzigen Schüler aus der Steiermark ein Stipendium für einen Besuch in England in Aussicht gestellt wurde. 1949 war dann schon eine vom steiermärkischen Jugendreferat organisierte Gruppenreise an die Cote d’Azur möglich - zu deren Vorbereitung die Teilnehmer ihre Pässe einsenden mussten, zwecks Einholung von Sichtvermerken Italiens (für die Durchreise) und Frankreichs.
Dr. Franz Rader (Jg. 1931),
Diplomat i. R.,
1070 Wien