Im Hörsaal 1 des Institutsgebäudes der Wiener Uni habe ich manch öde Stunde in stinklangweiligen Germanistik-Vorlesungen von Werner Welzig & Co. verdöst. Einmal aber war richtig was los: Es ist der 7. Juni 1968. Der Sozialistische Studentenbund hat zur Veranstaltung "Kunst & Revolution" geladen. Man will abrechnen mit der Bigotterie und dem autoritären Mief der Nachkriegsjahre. Hingeschleppt hat mich Otto Mühl, mein väterlicher Freund aus der Akademie am Schillerplatz. (Ich habe seine pompöse Staffelei geerbt; die Küchenkredenz hat er in der Augartenstraße aus dem Fenster seiner Gemeindewohnung gekippt.)
Mühl verliest ein Pamphlet, das den Finanzminister, dem im Krieg die linke Hand weggeschossen worden ist, als Krüppel verspottet. Peter Weibel beklagt sich, dass der Nazigeist in Bildungskreisen totgeschwiegen werde. Seine Rede ist nur verstümmelt zu hören, weil Valie Export das Mikro immer wieder unterbricht. Die bei den Linzer Kreuzschwestern aufgewachsene Lehrerstochter hat ihn an einer Hundeleine auf allen vieren durch die Kärntner Straße geführt.
Günter Brus entkleidet sich, pinkelt auf die rot-weiß-rote Fahne, beschmiert sich mit Kot und beginnt unter Absingen der Bundeshymne zu masturbieren. Was Oswald Wiener, das intellektuelle Oberhaupt der Gruppe, zum Gelingen der Darbietung beitrug, weiß ich nicht mehr. Und Nitsch? Wo war Nitsch? Vermutlich hat ihm samt seinem Schlachtschweinderl unterm Arm der Portier den Zutritt verwehrt.
Magnum-Fotograf Hans Hubmann hat alles mit gerunzelten Brauen abgelichtet. Die Abzüge gingen um die Welt. Michael Jeannee prägte den Begriff "Uni-Ferkel", der in die Zeitgeschichte Eingang fand. Altvater Ernst Jandl kalauerte: "scheißen & brunzen / sind kunsten". Und ich notierte ratlos in mein Tagebuch: Wieso Kunst? Wieso Revolution? Was der Brus da auf dem Katheder treibt, seh’ ich täglich im Pezzl-park. Gut, der Brus gröhlt während des Defäktierens die Bundeshymne. Das bellen die Hunderln nicht.
Für die Protagonisten der Uni-Ferkelei war 1968 zweifellos erfolgreich. Sie machten Karriere als Hochschullehrer, Ministerialbeamte, Museumsdirektor, Szenewirt. Einer landete als Redakteur bei der stockkonservativen "Presse", dem Flaggschiff des Bildungsbürgertums. Brus bekam zuerst sechs Monate Arrest, dann den Staatspreis. Sein Krixi-Kraxi wird von Feuilletonisten hochgelobt, sein Name geistert durch Kreuzworträtsel.
Dr. Kreisky, den nicht zuletzt die 68er-Bewegung an die Spitze der Regierung beförderte, grummelte mit resignativem Unterton: Es ist die Rache der Geschichte, dass aus jungen Revolutionären alte Spießer werden.
Johannes Twaroch (Jg. 1942),
Publizist,
2380 Perchtoldsdorf