1978 bekam ich überraschend eine Krebsdiagnose. Für mich brach eine Welt zusammen. Nach Regelungen meiner Angelegenheiten trat ich im Juni zur Operation in einer kleinen Privatstation von Prof. F. an. Am Gang schreckte mich der Anblick eines zwar freundlichen, aber wegen der Hitze hemdsärmeligen Herrn, sichtbar mit Schulterhalfter und Pistole bewaffnet. Ich zog ich in ein Zwei-Bett-Zimmer ein. Mein Nachbar, ein oberster Richter, von Krankheit schwer gezeichnet, begrüßte mich sehr freundlich. Gleich darauf bekam er Besuch eines weiteren Patienten. Es war sein Schulkollege, Kanzler Dr. Bruno Kreisky. Der bemühte sich rührend um ihn und so ergaben sich auch zwischen uns viele Gespräche. Er fragte nach meinem Schicksal, kannte meine Firma, den Chef und interessierte sich eingehend für meine Familie.
Am Gang gab es portables Fernsehgerät, wo wir zu dritt die Fußball-WM in Argentinien verfolgten. Der Kanzler, sein Polizeioberst mit Pistole - er nannte sich "Kreiskys Kieberer") - und ich. Kreisky nur so lange, bis er das Auto seiner Vera vernahm. Sofort flüchtete er dann in sein Zimmer.
Am Vorabend meiner OP ging ich in die Spitalskirche. Bei der Rückkehr meinte die Schwester: "Der Kanzler wollte noch was von Ihnen, aber er lässt sich morgen früh wecken." Noch vor der "Wurschtigkeitsspritze" kam er: "Ich habe mit Prof. F. gesprochen, sie bekommen den selben Narkotiseur wie ich." Der Professor sei guter Dinge "und ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute".
Nach der OP tätschelte mich der Kanzler beim Aufwachen und erlöste mich von meiner Angst: "Kein künstlicher Ausgang!" Ich hätte ihn abbusseln mögen.
Epilog: Nach einigen Jahren war Kreisky im Zuge eines Wahlkampfes im Waldviertel angesagt. Als damaliger Obmann des Fremdenverkehrsvereines Weitra bat man mich, eine Petition für den Erhalt der dortigen Bahn zu überreichen. Ich stieg in Weitra zu und stellte mich hinter den Honoratioren an. Der Kanzler war sichtlich übermüdet, durch die Nierenerkrankung schwer gezeichnet, kauerte er in einer Ecke. Langsam kam ich näher und sein Blick wurde immer interessierter. Kaum ließ er mich mein Begehren vortragen, fragte er unvermittelt: "Wir kennen uns doch?" Ich: "Ja, Herr Bundeskanzler, was macht die Gall’?" "Ja, wie geht’s Ihnen denn? Was machen die Kinder? Wie schauen die Kontrollen aus?" Mit meinen Antworten war er sichtlich zufrieden. Herzlich verabschiedeten wir uns, er fuhr weiter wahlkämpfen und ließ mich sprachlos berührt bei der nächsten Station aussteigen.
Ing. Otto Haider (Jg. 1941),
Pensionist,
3970 Weitra