Im Herbst 1949 wurde ich zehnjährig, mit knapp 19 Kilo, durch das evangelische Hilfswerk drei Monate nach Holland geschickt. Mutter packte mir Schmalzbrote und etwas Wäsche in den kleinen Rucksack. Soweit ich mich erinnere, hatte ich die Brote schon an der Ennsbrücke aufgegessen, als wir den russischen Sektor verließen. In Deutschland wurden wir dann in einem Lager entlaust. Am nächsten Tag kamen wir nachmittags in Alkmaar an. Dort warteten unsere Pflegeeltern. Es war ein Gewurrl mit allen Kindern und Erwachsenen. Ich setzte mich in eine Ecke und wartete, was kommen würde, bis nur mehr ich und zwei Erwachsene übrig blieben. 

Zwanzig Jahre später, als ich bei einem Besuch bei den Pflegeeltern diesen Moment ansprach, sagten sie mir, dass sie eigentlich geglaubt hatten, ein süßes, kleines Mädchen in Pflege zu bekommen. - Da saß nun aber ein zehnjähriger "Dürrling".

Die drei Monate in Holland, die Liebe und Geduld, die ich von den Pflegeeltern bekam, haben mich für mein Leben geprägt. Diese Fähigkeit zu Mitgefühl für Kinder von Menschen, die nur einige Jahre davor als Soldaten diesem Land so viel Leid und Schmerz zugefügt haben, hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.

In der Familie meiner Pflegeeltern starben während des Krieges zwei Kinder an Hunger.

Richard Schadauer (Jg. 1939),

Pensionist,

1150 Wien