Mein Vater, österreichischer Staatsbürger, wurde 1937 als Versicherungs-Mathematiker der Donau-Versicherung nach Reichenberg (heute Liberec, Tschechien) versetzt. Frau und Kind folgten. Die Familie wohnte in Böhmisch-Aicha (Cesky Dub). Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Vater eingezogen und später in Dänemark stationiert. Mutter blieb in Böhmisch-Aicha, wo ich 1941 zur Welt kam. Als sich 1945 die deutsche Niederlage abzeichnete und die Sowjetarmee vorrückte, beschloss Mutter die Rückreise nach Österreich. Sie war gut beraten vom deutschen Bürgermeister des Städtchens, der eine geordnete Übergabe an die tschechischen Machthaber anstrebte. Der alte österreichische Pass war für ihre Bemühungen offensichtlich eine große Hilfe. Sie übergab die gesamte Habe dem Vertreter des "Narodni Vybor" in Form einer Bestandsliste und ließ sich die Übernahme formell bestätigen. Mit einem der letzten Züge konnte sie Reichenberg verlassen, mit nicht mehr, als sie am Leib trug, und je einem Kind an jeder Hand. Die Flucht erstreckte sich abenteuerlich, aber gelang. Ziel war Baden bei Wien, wo es familiäre Bande gab. 1946 kam Vater aus der Gefangenschaft zurück und versuchte - ohne große Hoffnung -, bei der Vertretung der Tschechoslowakei in Wien anhand der Unterlagen die Rückgabe unserer Habe zu erwirken. Das Unglaubliche geschah! Bald rollte ein Speditionswagen vor unsere Unterkunft. Inhalt: unser gesamter Besitz, unversehrt inklusive aller zerbrechlichen Güter. Nur die Markensammlung und das Silberbesteck blieben verloren. Aber das für mich Wichtigste war dabei: ein Wilhelm Busch-Album, das ich - wie mir Mutter versicherte - nicht mehr aus den Augen ließ.

Hans Christian Pruszinsky,
Pensionist (Jg. 1941),

2500 Baden bei Wien