Am 15. März 1938 bin ich zum Bachlschuster gegangen. Meine Mutter sah es nicht gern. "Der mit seinem dreckigen Kaftan!", sagte sie. "Bestimmt hat er Wanzen." Aber die Wanzen interessierten mich nicht. Für mich hatte der Bachlschuster anderes: einen Stuhl mit dünner Holzplatte, eine Handvoll Schusternägel und einen Hufeisenmagneten.

Ich schüttete die Nägel auf den Stuhl. Der Bachlschuster machte ein geheimnisvolles Gesicht. "Abrakadabra", flüsterte er, flügelte mit einem schwarzen Kaftanärmel über die Nägel, zog mit der anderen Hand den Magneten unter dem Stuhl durch und ließ die Nägel tanzen. Der Bachlschuster war für mich gewaltig wie Gott. Ein Mann, der Nägel tanzen lässt!

Sooft ich meine Mutter beschäftigt wusste, war ich bei ihm im dunklen Laden. Heute habe ich ihm eines von den schönen Papierfähnchen mitgebracht, mit denen wir den vielen fremden Fahrzeugen gewinkt haben. Ich muss mich über den Bachlschuster ein biss-chen ärgern: Er legt das Fähnchen zerstreut auf die Bank. "Lässt du die Nägel nicht tanzen?", frage ich vorwurfsvoll. "Ich hab dir doch die Fahne mitgebracht - weil du keine hast." "Setz dich", sagt der Bachlschuster. Was habe ich angestellt? Er ist anders als sonst. "Du musst es jetzt selber lernen", sagt er. "Das Nägeltanzen?" "Ja." Nie würde ich es lernen. Wie könnte ich zaubern? Dann erklärt er mir den Magnetismus. Ich zittere vor Enttäuschung. Nicht weil er mich beschwindelt hat und es kein Zauber ist - nein, weil er mich unbedingt aufklären will. Warum können wir nicht bei unserem Spiel bleiben?

"Du musst es jetzt allein machen. Ich geh fort." "Wann kommst du wieder?" "Wenn die Fahne nicht mehr da ist." Verblüfft schaue ich die Fahne an. Der spinnt! Die schöne Fahne, rot und weiß und schwarz! Er hat was gegen sie. Dann eben nicht. Trotzig gehe ich zur Tür. "Nimm die Nägel mit", sagt er und füllt sie in eine Schuhpastadose, "und den Magneten." "Brauchst du ihn nicht mehr?" "Nein." "Nie mehr?" "Nie mehr."

Auf einmal weiß ich, dass der Bachlschuster nicht zerstreut ist, sondern traurig. Es ist mir peinlich. "Leb wohl", sage ich und öffne die Tür, "und komm bald wieder!" "Glaub nicht alles", schreit er und läuft plötzlich hinter mir her. "Es gibt keine Zauberer. Lass dir nichts einreden." Ich verstehe nicht, was er von mir will. Zuerst kränkt er mich, und jetzt ist er so komisch. Die Nägel und den Magneten verstecke ich im Hof. Irgendwer muss mich beobachtet haben. Später waren sie nicht mehr dort. Ich habe sie nie wiedergesehen. Den Bachlschuster auch nicht.

Dr. Traude Veran,

(Jahrgang 1934)

1090 Wien