Das Erlebnis, das mich politisch wohl am stärksten geprägt hat, ist das "Lichtermeer" gegen Fremdenfeindlichkeit und gegen das "Ausländer-Volksbegehren" der FPÖ in Wien im Jänner 1993. Warum ging ich damals dort hin? Mir war klar, dass jene, die Fremdenfeindlichkeit intrumentalisierten, Nazis in neuem Gewand waren. Und gegen die Nazi-Ideologie musste aufgetreten werden. Außerdem taten mir die Organisatoren des Lichtermeeres leid, weil ich zunächst dachte, dass wohl ohnehin niemand dort hinkommen würde.
Umso größer war dann meine Überraschung angesichts der hunderttausenden Menschen, die dort eine machtvolle Demonstration des "Anderen Österreich" abhielten. Während sich nun der Zug, in den ich mich eingereiht hatte, langsam über die Ringstraße in Richtung Heldenplatz bewegte, sah ich plötzlich drei oder vier Jugendliche, vermutlich türkischer Abstammung, auf einem Denkmal oder Brunnen sitzen. Sie scherzten nicht, sie plauderten nicht, sie skandierten keine Parolen: Sie saßen nur ganz still da, wortlos, sprachlos, überwältigt vom Anblick der vielen Menschen, die da für sie auf die Straße gegangen waren. Da wurde
mir schlagartig klar: Es geht nicht um Ideologien, wie ich anfangs gedacht hatte. Es geht um die Menschen, um die von Ideologien und Politik letztendlich Betroffenen! Als ich an diesem Tag nach Hause ging, war ich ein Anderer geworden - und das bin auch bis heute geblieben. Wann immer ich einer politischen Debatte folge, frage ich mich seither in erster Linie: Was bedeutet das für die betroffenen Menschen? Das haben mich ein paar ruhig auf einem Denkmal sitzende Burschen gelehrt, die ich auch in der Folge leider nie persönlich kennengelernt habe.
Michael Schwarz (Jg. 1967),
Selbständiger,
1120 Wien