Wir wohnten im 14. Bezirk in einer Zwei-Zimmer-/Küche-/Kabinett-Wohnung, unsere Mutter, meine Schwester und ich. Kurze Zeit nach Kriegsende bekamen wir eine Untermieterin zugeteilt: die Ilona, eine Russin.

Sie war eine lustige, hübsche Frau so um die dreißig, Dolmetscherin bei den russischen Besatzungstruppen. Sie hatte uns Kinder recht gern, und auch meine Mutter verstand sich mit ihr sehr gut. Ein besonderer Anlass war es immer, wenn meine Mutter in Ilonas Auftrag mit uns Lebensmittel in einem USIA-Betrieb (Verwaltung des sowjetischen Eigentums in Österreich) in der Innenstadt hinter dem Karlsplatz einkaufen ging. Ich glaube, dieser befand sich in der Paniglgasse.

Im Hof liefen Schweine, Hühner, oft auch ein Ochse oder eine Kuh frei herum, es wurde laut Russisch gesprochen, und es hat gestunken. Aber es gab Lebensmittel und sonstige Waren aller Art, von denen wir damals nicht einmal geträumt haben. In meiner Erinnerung hat meine Mutter neben all den anderen Waren, Zigaretten und Lebensmitteln meist auch Sauerkraut gekauft. Dieses wurde in Zeitungspapier gepackt und wie alles andere auch in die offene Einkaufstasche aus Wichsleinwand gegeben.

Auf dem Weg zur Straßenbahn gingen wir nicht neben unserer Mutter, sondern hinter ihr, zupften das Sauerkraut hastig aus dem Zeitungspapier und steckten es in den Mund. Wenn sich unsere Mutter umdrehte und uns ermahnte, das Sauerkraut sei nicht für uns, hörten wir nur kurz zu kauen auf, um danach das Stibitzen gleich wieder fortzusetzen.

Neben vielen Entbehrungen gibt es doch auch einige schöne Erinnerungen an die Zeit der Besatzung, wie eben zum Beispiel diese.

Dr. Ludwig Kumer,

Techniker (Jg. 1941),

1070 Wien