Mein Vater Franz Hancvenzl, Jahrgang 1907, war Damenschneider mit prominenter Kundschaft, wie z.B. der Gattin von Bundespräsident Miklas, der Gattin des Bundeskanzlers Hermine Raab und der Kabarettistin Cissy Kraner. Seine Leidenschaft war jedoch eindeutig der Fußball.
Als junger Wiener Tscheche spielte er mit seinen zwei Brüdern bei Slovan Wien am Rande einer Profikarriere, später wirkte in der Kriegs- und Nachkriegszeit als Schieds- und Linienrichter. Während er unter der Woche mit meiner Mutter bis tief in die Nacht nähte, wartete er mit Freude aus Wochenende, wo er als Linienrichter (wienerisch "Outwachler") in der damaligen Staatsliga A tätig war und etwas dazuverdienen konnte.
Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört die Kennmelodie des Abendsports im Radio. Ich wuchs zu Hause in der Wohnungswerkstatt auf, da sich meine Eltern keinen Kindergarten leisten konnten, und wurde von Papa am Wochenende auf den Fußballplatz mitgenommen. Wenn ich als Fünfjähriger mit gelocktem Haar auf der alten Pfarrwiese mit einer Aufsichtsperson nach dem Match auf Papa wartete, hieß es immer: Schau "der kleine Hanappi".
War der schon damals berüchtigte Rapidanhang mit den Leistungen des Schiedsrichtertrios nicht zufrieden, gab es auch einen Notausgang über einen Garten, dann brachte uns die Polizei nach Hause. Im Wiener Stadion saß ich auf der Bank bei Mitgliedern eines südamerikanischen Teams und bekam auch einen Geldschein, den ich heute noch besitze. Die Sensation war aber für mich die Dunkelhäutig- und Fremdartigkeit der Spieler. Am 11. November 1956 war ich als Volksschüler mit Papa im Stadion beim legendären Europacupspiel Rapid gegen Real Madrid 3:1, in Erinnerung sind mir das grelle Licht der Flutlichtstrahler und die vielen Zuschauer. Da wurde ich Rapidanhänger und bin es heute. Die tschechischen Wurzeln gaben mir Gelegenheit, im "Deutschen Volkstheater" sonntags um 11 Uhr "Fuhrmann Henschel" von Gerhart Hauptmann oder "Ein Kamel geht durch das Nadelöhr" von Frantisek Langer auf Tschechisch anhören zu müssen. Für mich eine vollkommen unverständliche Sprache und kein Vergnügen, ähnlich wie das Messlatein in der Gumpendorfer Pfarrkirche, das ich auswendig lernen musste. Mein Vater betreute tschechoslowakischen Schiedsrichterteams, die damals heikle Matches um Meisterschaft oder Abstieg leiteten. Das gab mir Gelegenheit, nach Krems mitzufahren, da der SC Krems in der Abstiegszone war. Die Schiedsrichter aus der CSSR wurden von meinem Vater in den tschechischen Verein Barak VI eingeladen, der jeden Samstag im Gasthaus "Nachtnebel" in der Garbergasse sein Treffen hatte.
Der Einkaufsbummel der Sportkollegen auf der Mariahilfer Straße, im Hinterhof vor dem Schäferkino, einem damals bekannten Sexkino, gehört zu den bleibenden Eindrücken meiner Kindheit. Im Geschäft der Menasses, nachzulesen im Buch von Eva Menasse "Vienna", konnte man mit tschechischen Kronen bezahlen, damals eine Besonderheit.
Noch eine Begebenheit ist mir in Erinnerung geblieben, mein Vater war in Bratislava mit einem österreichischem "Schiritrio" als Linienrichter. Es spielte Tschechoslowakei B gegen England B und er brachte mir von dort sehr schicke Turnschuhe mit einer dicken grünen Sohle mit. Diese zog ich sofort an und beeindruckte damals meine Mitschüler in der Volksschule sehr.
Vater war bis zu seinem 80. Lebensjahr als aktiver Schiedsrichter beim Reichsbund, der Union Katholischer Jugend und bei den internationalen Spielen des Landwirtschaftsministeriums tätig und hat es nach seinen detaillierten Aufzeichnungen auf insgesamt 3200 Spiele gebracht.
Dr. Peter Hancvencl (Jg. 1947),
Gesandter i. R., (Österr. Attaché in Prag & Bratislava), 1140 Wien