Mein Großvater väterlicherseits, Johann Wenig, wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges aus der französischen Gefangenschaft entlassen. Er trug jene Kleider, in denen er verhaftet worden war und seine Gefangenschaft abwartete. Bei der Entlassung war es nicht anders. Er wurde aus dem Lager in die ersehnte Freiheit gestellt, schwer krank mit der Ruhr, völlig abgemagert und in den Kleidern eines Soldaten des besiegten Dritten Reiches.

Ein beschwerlicher Weg, über den ich äußerst wenig weiß, nach Österreich begann. In seiner Heimat Österreich traf er auf die Ennsbrücke. Es war die Grenze zwischen der amerikanischen und der russischen Besatzungsmacht. Mein Großvater konnte problemlos bei den Amerikanern passieren. Sie sahen meinen Großvater mitleidig an. Es waren seine Krankheit und die Strapazen der Vergangenheit deutlich sichtbar. Mit seinen Papieren in der Hand ging er langsam über die Ennsbrücke zu den russischen Wachposten. Ein russischer Soldat spricht meinen Großvater wirsch an. Er konnte ihn nicht verstehen.

Die russischen Worte klangen nicht freundlich und die Gesten wirkten bedrohlich und die lockere Hand auf der Waffe machte Angst.

Ein junges Mädchen stürmte auf meinen Großvater zu und schrie: "Papa! Papa!" Sie fiel ihm um den Hals und drückte ihn. Der Soldat fragte: "Papa?", und deutete auf meinen Großvater. Das Mädchen nickte wild bejahend mit dem Kopf. Der Russe winkte mit seiner Waffe, um ein Weitergehen anzudeuten. Mein Großvater war erleichtert und solange er in Sichtweite des Russen war, hatte er Angst, dass dann doch noch etwas Schlimmes passieren könnte. In Sicherheit der Entfernung, trennten sich die Wege von dem Mädchen und Großvater. Er konnte sich bei ihr nie richtig bedanken, so wie sie aufgetaucht war, war sie auch verschwunden. Das tat ihm immer sehr leid.

Nur diese kurze Momentgeschichte dieses unbekannte Mädchens, die über den Tod meines Großvaters hinaus in der Familie erzählt wird, soll mein aufrechter Dank dafür sein.

Andrea Wenig (Jg. 1968),
ÖBB-Bedienstete,

1020 Wien