Als katholisch erzogenes Mädchen erinnere ich mich mein Leben lang an den Tag der Erstkommunion. In der Klosterschule "Maria Regina" in der Hofzeile in Wien-Döbling wurde dieser Tag sehr festlich begangen. Aber auch in "weltlicher" - man könnte sagen: in "weltpolitischer" Hinsicht - war der Tag historisch: Er fiel auf den 15. Mai 1955 - das war der Staatsvertrag-Tag! Mir sind noch viele Details in Erinnerung: Die Ängste einer Klassenkollegin, ob ihr Vater, damals Staatssekretär, wohl zur Kommunionfeier und zur Vertragsunterzeichnung im Belvedere zurechtkommen würde. Er schaffte das. Ich erinnere mich auch, dass meine Freundin Trixi ausgerechnet an dem Tag einen Gipsverband am linken Arm tragen musste und zu ihrem Kummer so auf dem Kommunionsbild verewigt worden ist.

Kommunionsfoto Christa Sauer 1955: Bilder wie diese wurden damals gerne im Nobel-Atelier Simonis in der Währinger Straße angefertigt. - © privat
Kommunionsfoto Christa Sauer 1955: Bilder wie diese wurden damals gerne im Nobel-Atelier Simonis in der Währinger Straße angefertigt. - © privat

Jahrzehnte später - ich war nach meinem Geschichtsstudium längst im Außenministerium tätig, wo ich mich Jahrzehnte lang im Ausland kulturellen Inhalten widmen konnte - lernte ich Erich Lessing kennen, einen Holocaust-Überlebenden und wohl bedeutendsten österreichischen Fotografen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ich hatte die Freude, Ausstellungen seiner zeitgeschichtlichen Foto-Dokumentationen in mehreren Ländern zeigen zu dürfen. Ich erfuhr Anfang der 90er Jahre von Lessing persönlich, dass das berühmte "Balkonbild" der Staatsvertragszeremonie von ihm stammt. In gewohnt Lessing’scher Manier erzählte er, wie er - damals 32-jährig - als Einziger nach der Unterzeichnung schnell aus dem Saal in den Park lief, um ein solches Bild zu ergattern, das er instinktiv erwartet hatte. Seine Kollegen harrten einstweilen weiter im Saal aus und kamen so nur zu konventionellen Bildern.

Für meine Eltern stand an diesem Tag meine Erstkommunion im Mittelpunkt, daher hatten sie keine Gelegenheit, den Staatsvertrag im Park des Belvedere mitzufeiern. Als meine Mutter später in der "Wochenschau" im Kino den Jubel der Menschen sah, sagte sie mit der ihr eigenen Ironie: "Ich bin froh, dass ich nicht dort war. Ich möcht’ net wissen, wie viele da gejubelt haben, die 1938 am Heldenplatz dabei waren."

Die beiden Freundinnen, die ich erwähnte, leben nicht mehr. Unsere Freundschaft hat bis ins Erwachsenenalter gehalten. Und die "Schwestern vom armen Kinde Jesu" konnten das Klosterleben in der Hofzeile nach über 150 Jahren nicht mehr aufrechterhalten. Einige sind vor Jahren in ein kirchliches Seniorenheim übersiedelt. Die Schule "Maria Regina" jedoch existiert nach wie vor.

Dr. Christa Sauer (Jg. 1947),

Bundesbeamtin i. R.

1180 Wien