1962 begann mein Berufsleben bei einer Exportfirma, deren Inhaber ungarisch-jüdischer Abstammung war. Eines Tages fragte mich mein Chef - Herr Sch. -, ob ich ihm bei einer privaten Sache helfen könne. Es sei in Deutschland ein Gesetz zur Wiedergutmachung verloren gegangenen jüdischen Eigentums herausgekommen. Natürlich müssten alle Verluste bewiesen werden. Nun könnten Zeugen nach Wien kommen, ob ich ihre Angaben notieren und durch einen Notar beglaubigen lassen könnte.
Neue Firma, neuer Chef - natürlich sagte ich zu, hatte aber keine Ahnung, was auf mich zukam. Im Laufe dieser Arbeit erfuhr ich, dass mein Chef Sägewerke, Häuser und anderes durch die Nationalsozialisten verloren hatte, dass er mit Familie in Auschwitz interniert war, dass dort seine Frau und seine beiden Kinder, zehn und zwölf Jahre, ermordet wurden und dass er nach Kriegsende mit 35 Kilogramm Körpergewicht aus dem KZ befreit wurde. Diese unsagbaren Gräuel, die ich nun aus erster Hand erfuhr, waren schwer zu ertragen - aber es gelang dann doch, durch meine Arbeit in Deutschland wenigstens in einem Fall Wiedergutmachung zu erreichen.
"Wiedergutmachung", was für ein Wort für solche Verluste! Die Schicksale sind ja heute bekannt - darüber schreibe ich nur zum besseren Verständnis für den Sinn dieses Aufsatzes: Ich war 20 Jahre mit Herrn Sch. bis zu seinem Tod befreundet - ich habe nie ein böses Wort gegen einen Österreicher oder Deutschen gehört. Wie er 20 Jahre lang freundlich, humorvoll und gelassen mit allen Menschen umgehen konnte nach all seinen Erlebnissen, es wird mir unbegreiflich bleiben. Solch eine menschliche Größe wird mir immer eine Goldene Seite in jedem Tagebuch sein.
Otto Hermann Hlavac (Jg. 1941), Pensionist,
2500 Baden bei Wien