Als in den 1960er Jahren das Schwarz-Weiß-Fernsehen Einzug hielt, meinten meine Eltern, dass wir so einen Apparat nicht bräuchten. Vater genügte das Radio, um sonntags im Fauteuil die geliebte klassische Musik zu hören. Jeden Samstag verbrachte die Familie bei den Großeltern, die im 23. Bezirk in Wien wohnten. Mutter fühlte sich als Einzelkind zu den Stunden dauernden Besuchen verpflichtet. Vater spielte mit. Abgesehen davon, dass wir Kinder Großvater über alle Maßen liebten und Omis Essen vorzüglich war, gab es noch einen Anziehungspunkt: Die Großeltern hatten einen Fernseher!
Samstagnachmittag schauten wir "Kinder aus aller Welt", später kamen die Erwachsenen dazu. Wir saßen am Tisch, die Sessel in Richtung Fernseher gedreht. Nun nahte ein unausweichlicher Moment, dem ich jedes Mal mit Bangen entgegenblickte: die "Zeit im Bild". Das wandelte mein wohliges Fernsehgefühl in pure Angst, denn nun lag während der politischen Berichterstattung höchste Anspannung in der Wohnzimmerluft: Großvater war als Arbeiterkind, das sich zum Betriebsleiter hochgearbeitet hatte, stets der Sozialdemokratie treu geblieben. Vater hingegen stammte aus einer tiefschwarzen steirischen, bäuerlich geprägten Familie. Beide hingen ihrer Partei mit Unabdingbarkeit an, die sich in Momenten zum Fanatismus steigerte.
So wurde ich - wie es meinen Schwestern ging, weiß ich nicht - ein spätes Opfer der politischen Grabenkämpfe der Ersten Republik. Ich fühlte mich in Loyalität zwischen Großvater und Vater hin- und hergerissen. An effektive Streitgespräche zwischen den Männern kann ich mich kaum erinnern. Hin und wieder wurde verbittert in den Raum geworfen, jeweils die eigene Seite wären in den 1930ern die besseren Widerständler gewesen. Alles andere spielte sich wortlos ab. In meiner Erinnerung erreichte die Anspannung vor dem Fernseher ihren Höhepunkt, wenn das markante Gesicht von Vizekanzler Bruno Pittermann am Bildschirm auftauchte. Seine Züge bleiben für mich Inbegriff atmosphärisch ausformulierter ideologischer Unversöhnlichkeit.
Meine Lehre aus Jahren der Gespaltenheit: Traue keiner Ideologie! Als ich wahlberechtigt war, wählte ich weiß. 1966 erlebte ich als Schülerin der Klosterschule St. Ursula in Wien-Mauer enge politische Verflochtenheit: Die ganze Klasse musste unter Anleitung einer Ordensschwester stehend für den ÖVP-Sieg bei den Nationalratswahlen beten. Ich stand mit gesenktem Kopf zwischen meinen Mitschülerinnen - über meine Lippen kam kein Wort.
Christa Salcher (Jg. 1955),
Pensionistin,
1230 Wien