Es wohnten, ach, zwei Herzen damals in meiner Brust. Wir sprechen vom sagenumwitterten Deutschen Herbst 1977, den ich bei einer Freundin in Leipzig verbrachte. Seit meiner Kindheit, so wollte es das familiäre Schicksal, war ich immer wieder in der DDR gewesen, und trotz dieses Anschauungsunterrichts war ich als junger Linker überzeugt, in diesem Unrechtsstaat das bessere Deutschland zu erleben, dem man mit kritischer Solidarität begegnen musste.
Dann traf in der Ausscheidung für die WM 1978 Österreichs Fußballnationalmannschaft auf jene der DDR. Am 12. Oktober. In Leipzig. Im legendären Zentralstadion (heute: "Red Bull Arena"), das 100.000 Menschen fasste. Ich war dabei, mit meiner Freundin, einer glühenden Anhängerin des SED-Regimes und seiner Fußballer.
Was tun? Was denken? Wie fühlen? Wie handeln? Als Jara, Koncilia, Pezzey, Prohaska und alle anderen späteren Helden von Cordoba aufs Feld liefen - nur Hans Krankl war wegen einer roten Karte im Hinspiel gesperrt -, wusste ich, Sozialismus hin oder her, dass ich nicht anders konnte, als mich nicht nur klammheimlich über jede gelungene Aktion der Österreicher zu freuen. Im antiimperialistischen Kampf dieser Jahre sozialisiert, entdeckte ich plötzlich Österreich in mir. Die Spieler der DDR, so erklärte es mir meine Freundin, liefen angeblich für eine bessere Welt. Plötzlich genügte es mir, in dieser schlechteren Welt nicht zu verlieren. So kam es auch. Das Match endete 1:1, Österreich war der Qualifikation einen großen Schritt näher gekommen, die DDR aber hatte alles verspielt. Dem Ärger meiner Freundin über die vergebenen Chancen des besseren Deutschland quittierte ich mit höhnischem Grinsen. Die Annäherung der politischen Systeme fand damals schon im Privaten ein jähes Ende.
Nebenbei: Einen Tag nach diesem Fußballspiel wurde das Flugzeug "Landshut" entführt. Nach der Befreiung der Geiseln am 18. Oktober begingen die in Stammheim inhaftierten Führer der RAF Selbstmord. Daraufhin erschoss die RAF den entführten Hanns Martin Schleyer.
Österreich aber würde zur WM fahren. Und ich war endgültig vom Weltrevolutionär zum Kreisky-Patrioten geworden.
Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann
(Jg. 1953),
Philosophie--Professor,
1060 Wien