Ich trat im September 1937 in die Volksschule eines steirischen Bezirksstädtchens ein, wo mein Vater Amtstierarzt war. In der "Schuschniggzeit", wie man sagte - Ständestaat oder Erste Republik waren Ausdrücke, die ich erst viel später kennenlernte -, hatten wir uns nach dem Ende des vormittägigen Unterrichts auf den Stufen zur Vorhalle des Schulgebäudes aufzustellen, und auf ein Zeichen eines Lehrers hin skandierten wir einstimmig "Ös-ter-reich". Danach stürmten wir ins Freie.
Der "Anschluss" kam 1938. Mutter wollte keine Hakenkreuzfahne übers Fenster hinaushängen. Unser Dienstmädchen redete ihr zu und ergriff schließlich die Initiative. In einer Schar von Altersgefährten unter der großen Trauerweide im Posthof soll ich gesagt haben: "Der Hitler g’hört aufg’hängt", die anderen aber meinten: "Der Schuschnigg g’hört derschossen." Zum Glück erfuhren es keine Erwachsenen. Wohl am 13. März um Mittag kurvte eine Kolonne Panzerspähwagen um den Hauptplatz, die Fahrer durften anhalten, die Häuser betreten, es gab eine kurze Verbrüderung mit den Einheimischen, bald darauf fuhren sie weiter, vermutlich in andere Ortschaften.
Noch gab es offiziell das "Land Österreich", bis zum "Ostmarkgesetz" im Mai 1939. Danach verschwand der Begriff Österreich aus dem Sprachgebrauch. Doch bemerkenswert: Bis zum Sommer 1944 wurden meine Schulzeugnisse auf Urkundenpapier ausgestellt, auf dessen unterstem Teil mit dem sogenannten Wasserdruck "Österreichischer Landesverlag" eingeprägt war. Brauchte man so sparsamerweise vorhandene Vordrucke jahrelang auf oder bestand hier "Österreich" (wie vor und nach der Nazizeit) einfach irgendwie weiter, ohne dass es jemand besonders auffiel?
Franz Rader (Jg. 1931),
Diplomat i.R.,
1070 Wien