Vor einigen Wochen habe ich in der "Wiener Zeitung" im "Tagebuch 100 Jahre Österreich" die Geschichte von Karoline Weiss aus dem Jahr 1922 gelesen. Ich denke, es ist interessant zu wissen, wer Kinderzüge in die Niederlande ursprünglich organisiert hat. Das war das "Niederländische Hilfskomitee für die Wiener Kinder" im Augartenpalais, dessen aktiver Ehrenvorsitzender der niederländische Gesandte Jonkheer Maurits van Weede war.

Viele Kinderzüge fuhren nach dem Ersten Weltkrieg, um ausgehungerte und kraftlose Kinder in die Niederlande zu bringen, wo sie aufgepäppelt wurden. Für sie wurden Begleiterinnen gesucht. Da sah die 22-jährige Hermine Rainer aus der Wiener Mariahilfer Straße 95 ihre Chance. Der Pessimismus, die Niedergedrücktheit der Nachkriegszeit - sie ertrug es nicht länger. Nun gab es plötzlich diese verlockende Möglichkeit: mitzufahren mit dem Transport der Wiener Hungerkinder. Hermine war Krankenschwester. Sie bewirbt sich, wird angestellt und fährt am 26. Mai 1920 in die ihr völlig unbekannten Niederlande.

Am Bahnhof wird sie von ihrer traurigen Mutter verabschiedet. Noch am selben Tag schreibt ihr diese: "Es war mir so weh ans Herz, wie ich dein weißes Taschentuch beim Abschiedswinken von den anderen nicht mehr unterscheiden konnte." Sie fügt hinzu: "Liebe Hermine, wirst Du vorsichtig sein, auch wenn Du einen Mann noch so gerne kriegst, vergiss Dich nie, gewöhnlich bringt die eine glückliche Stunde viel Kummer über einen."

Es kam aber anders: Nicht eine, sondern viele glücklichen Stunden verbrachte Hermine mit einem Niederländer, Dr. Frederik Enschedé. Bald heiratete sie ihn und kam nie mehr zurück nach Wien. Ihre Enkel bewohnen aber noch immer ihr Haus in der Mariahilfer Straße.

Diese Geschichte habe ich in Ihrer Vollständigkeit als niederländische Historikerin erfahren. 2013 hat mich die Familie Enschedé mit einer Sichtung Ihres Archivmaterials beauftragt. In der Mariahilfer Straße fanden sich noch zwei alte Tresore, die ich mit sachkundiger Hilfe "knacken" durfte. Dabei fand ich alle Dokumente, die diese Geschichte des Lebens untermauert haben. Über Hermines Zinshaus in der Mariahilfer Straße ist gerade ein Buch erschienen: "Die Hlawatsch-Saga" (Berger Verlag, Horn). Es wird am 17. Oktober 2018 um 18.30 Uhr im Vortragssaal des Naturhistorischen Museums präsentiert.

Dr. Reinildis van Ditzhuyzen,

niederl. Historikerin (Jg. 1951),

1050 Wien