Wien. "Bald leben vier Millionen Menschen in Wien." Diese Prognose ist 120 Jahre alt. Aktuell wird keine Bevölkerungsexplosion für die 1,87 Millionen Einwohner große Donaumetropole erwartet, auch wenn laut Statistikamt MA23 vermutlich 2026 die Zwei-Millionen-Marke geknackt wird.

Wien als Zentrum des Habsburgerreichs erlebte im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Blüte der Gründerzeit eine regelrechte Bevölkerungsexplosion. Mit 2,1 Millionen Einwohnern war sie zwischen 1910 und 1918 die fünftgrößte Stadt der Welt. Trotz abflachendem Wachstum erwartete man sogar drei bis vier Millionen Einwohner in absehbarer Zeit. Nicht nur der Bau der Wiener Hochquellwasserleitung und der Stadtbahn durch Otto Wagner waren Vorbereitungen darauf.

Der Stadtarchitekt hatte noch viel mit Wien vor, angefangen bei seinem Lieblingsprojekt, des geplanten Ausbaus der Wienzeile zur Prachtavenue, um die Innenstadt mit den äußeren Bezirken zu verbinden. "Wagners Generalregulierungsplan für Wien sah eine parzellierte Stadt vor, die sich beliebig erweitern ließ", erklärt der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Andreas Resch gegenüber der "Wiener Zeitung".

Von der Metropole
zum Wasserkopf

Der Erste Weltkrieg sowie der Zerfall des Habsburgerreiches setzten diesen Plänen jedoch ein abruptes Ende. Die als Weltmetropole konzipierte Stadt war plötzlich die Hauptstadt eines nun ungleich winzigeren Landes. Insgesamt verlor die Stadt etwa 200.000 Einwohner, oftmals durch abwandernde Beamten oder Kriegsflüchtlinge. Zudem hatte Wien die aufgeblähte Verwaltung der Monarchie geerbt, die es nun langsam abzubauen galt. Die wichtigste Industrie hingegen war in Tschechien und die Landwirtschaft in Ungarn verblieben.

"Die Versorgungskrise damals rührte aber vor allem vom Zusammenbruch der Landwirtschaft und des Bahnverkehrs infolge des Krieges her", erklärt Resch. "Als sich Ungarn wieder erholt hatte, war man dort froh, wenn Wien wieder Produkte abkaufte."

Im Vergleich zu Restösterreich war Wien überproportional groß. Damals noch mit Niederösterreich zu einem Bundesland zusammengefasst, lebten 1919 rund 3,5 Millionen Menschen in dieser Region. Im Rest der nunmehrigen Alpenrepublik, die als "Republik Deutsch-Österreich" ausgerufen wurde, waren es (ohne das Burgenland und den Bezirk Völkermarkt, die bis 1920 noch zum Königreich Ungarn gehörten) lediglich 2,84 Millionen Einwohner.

Aufgrund der hohen Bevölkerungskonzentration und der überbordenden Bürokratie in der Stadt prägte sich für Wien die Bezeichnung als "Wasserkopf" ein. Wobei dieser Begriff vor allem politische Agitation war, wie Resch betont. "Zwischen Wien und dem Rest der Republik gab es immer schon Unterschiede." Während in Wien die Sozialdemokratie ihren Aufschwung erlebte, war das konservative Umland von der christlich-sozialen Partei, der Vorgängerin der ÖVP, geprägt. Ihre Stärke in Wien verschaffte der Arbeiterpartei jedoch eine dünne Mehrheit im niederösterreichischen Landtag und anfänglich sogar den Landeshauptmann.