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Gesang statt Gemetzel

Von Denise Hruby

Mit historischen Liedern besingen Italien, Österreich und Ungarn das Ende des Gebirgskrieges.


Kötschach-Mauthen. Auf Kommando exerzieren die Musiker Trompeten, Klarinetten und Querflöten, führen die Instrumente mit Präzision an die Lippen, und beginnen, schwungvolle Märsche der k.u.k. Armee zu spielen. Bis in die letzen Reihen des Festsaales der kleinen Markgemeinde Kötschach-
Mauthen im Kärntner Bezirk Hermagor klingen der Radetzkymarsch, Oh du mein Österreich und der Gebirgsschützenmarsch.

Hier, am Fuße der Karnischen Alpen, kämpften Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg erbittert um Gipfel, Pässe und Karst im höchstgelegenen Krieg der Geschichte. Ein Gemetzel, bei dem oft nur wenige hundert Meter erobert wurden, die mit dem Leben von 150.000 Männern bezahlt wurden. Der Großteil erfror bei bis zu minus 30 Grad, verhungerte, erlag Lungenentzündungen oder wurde von Lawinen verschüttet.

Am 3. November aber gaben die Kärntner Militärkapelle, die ungarische Militärmusik aus Kaposvar und der Coro Leone aus Bologna ein gemeinsames Gedenkkonzert, zum hundertjährigen Ende des Ersten Weltkriegs. Seit Monaten hatte der Verein Dolomitenfreunde, der auch das Museum zum Gebirgskrieg "Vom Ortler bis zur Adria" betreibt, an der Organisation des Konzertes gearbeitet, um Gruppen aus den drei Ländern zusammenzubringen. Leicht war das nicht, schmunzelt die Organisatorin, "aber Musik kennt keine Grenzen".

Dass hunderte Gäste zum Gedenkkonzert erschienen sind, ist nicht verwunderlich. In der Region sind die tiefen Spuren, die der Erste Weltkrieg in Landschaft und Menschen gegraben hat, auch heute noch spürbar.

Nur wer die Gipfel beherrscht, beherrscht auch das Tal

Zwar hatten die Alpen mit ihren scharfen Steilhängen und Karstformationen die Länder getrennt, nicht aber ihre Bewohner. Oft lebten Familien auf italienischer und österreichischer Seite, viele wuchsen zweisprachig auf, umringt von Bauernhöfen mit Schafen, Rindern und Pferden.

In dieser friedlichen Region traf der Kriegseintritt Italiens im Mai 1915 die Habsburger völlig unvorbereitet. Italien, so befand Kaiser Franz Joseph, hatte die Monarchie verraten. Plötzlich tat sich eine neue Front im Süden der Monarchie auf, die sich über 900 Kilometer erstreckte. Die Bauern, die in der Grenzregion lebten, wurden mit Waffen ausgestattet und ins Gebirge entsandt. Nur wer die Gipfel beherrsche, so dachte der Generalstab damals, könne auch das Tal beherrschen.

Schnell wurden Menschenleben mit Material gleichgesetzt. "Das haben die Truppen schon gespürt," sagt Sepp Brandstätter, Landwirt und Bergführer, der Schulklassen und Interessierten den Krieg im Gebirge näherbringt. Auch Brandstätters Großvater wurde zur Armee eingezogen, zur Verteidigung des Plöckenpasses, in dessen Schatten Kötschach-Mauthen auf der einen Seite und das friaulische Paluzza auf der anderen Seite liegt.

Viele Kavernen, Stellungsanlagen, Baracken, Postenstände und Stollen sind dank der Pflege und Instandhaltung der Dolomitenfreunde noch - oder wieder - gut erhalten. Freiwillige aus Österreich, Italien und aus dutzenden anderen Ländern haben alte Seilbahnen rekonstruiert, Soldatenfriedhöfe angelegt und Steige und Stellungen restauriert.

In ihnen erzählt Brandstätter von den ortsansässigen Bauern, die den blanken Karst gegen Freunde, Familien und Nachbarn verteidigen mussten. Aber auch Berg und Natur galt es zu besiegen. Gekämpft wurde selbst bei sechs Metern Schnee, in Höhen von bis zu 3850 Metern, wie am Ortler im heutigen Südtirol, wo sich die höchste Geschützstellung befand.

Der Krieg ist Bewohnern und Landschaft noch immer präsent

Die Erlebnisse des Krieges seien noch immer tief verwurzelt, auch wenn es keine Zeitzeugen mehr gebe, so Brandstätter. Da sind die Splitter italienischer Bomben, die noch in Häusern stecken und nun eingerahmt an den Krieg erinnern. Da sind frisch gefällte Bäume, die in Sägewerken nicht verarbeitet werden können, weil Metalldetektoren eingewachsene Granatensplitter oder Kugeln vermuten lassen, die die Sägeblätter zu zerfetzen drohen. Und da sind die Blindgänger und Projektile, die Bergsteiger noch heute bei Wanderungen finden und die als Andenken in vielen Höfen Platz gefunden haben.

Diese Präsenz des Krieges in Landschaft und im kollektiven Gedächtnis der Bewohner ist es, die die Konzertbesucher auch beim beliebten Radetzkymarsch erst nur zögerlich mitklatschen lassen. An diesem Abend spielen die österreichischen und ungarischen Militärkapellen Märsche der k.u.k. Armee, die mit der Monarchie zerfiel. Schwungvoll und heiter sei die Musik, weil sie Soldaten animieren sollte, mit breiter Brust in den Krieg zu ziehen, so Militärkapellmeister Dietmar Pranter. Natürlich stimme das auch nachdenklich.

Einer der grausamstenKriege, die es je gab

"Das war einer der grausigsten Kriege, die es überhaupt je gegeben hat. Da fällt einem gar keine Musik dazu ein", sagt der Musiker. Kurz vor dem Konzert hatte seine Kapelle, die aus vielen Grundwehrdienern besteht, das Gebirgskriegmuseum besucht.

Ein Österreicher im Grundwehrdienst betrachtet ein Tellereisen, das mit einem Drahtseil versehen war. Trat ein Späher des Feindes auf das versteckte Tellereisen, schnappte es zu. Nun konnten die österreichischen Soldaten den Feind in ihre Stellungen ziehen. Für die Jagd waren solche Vorrichtungen auch schon damals verboten, sie galten als zu grausam, waren mit dem weidmännischen Verständnis von Ethik nicht vereinbar. Für den Feind war nichts zu grausam. "Arg", kommentiert der Grundwehrdiener.

Schwere Granatenwerfer, Maschinengewehre - die gleichen Waffen, die beim Stellungskrieg im Tal verwendet wurden, wurden auch ins Gebirge transportiert. Obwohl erst Maultiere und später Seilbahnen halfen, musste der Tagesbedarf an Munition, Wasser und Nahrung für einen Soldaten von neun Männern gesichert werden. Vor Hunger und Verzweiflung stahlen Soldaten verfaultes Brot von einander. 1918 lag das Durchschnittsgewicht eines Soldaten an der Südfront zwischen 48 und 52 Kilogramm.

Um Gefallene zu bergen oder zu begraben, reichten die Kräfte nicht aus, wie ein junger Soldat in einem Brief an seine Eltern schrieb: "Traurig ist es in der Stellung, tausende Fliegen und Käfer kriechen auf den unbeerdigten Leibern der Toten, deren Anblick Grausen und Entsetzen erweckt, herum. Zerstückelte Glieder und Menschenleiber starren uns entgegen, und mitten drin hausen Menschen."

Auch heute noch finden Bergsteiger Gebeine von Soldaten. Mit Glück haben Kälte und Eis Teile der Uniform konserviert, so könne man immerhin erkennen, ob es sich um Italiener oder Österreicher handle.

"Ja, für einen Menschen ist hundert Jahre eine lange Zeit", sagt der italienische Chorleiter Pier Piazzi, "nicht aber für eine Nation. Und auch nicht für eine Familie." Für das Konzert sang der 30 Mann starke Chor Lieder, deren Texte von Soldaten selbst geschrieben wurden oder ihren Briefen an Eltern, Frauen und Geliebten in der Heimat entnommen sind. Auch die jüngeren Generationen haben Texte verfasst, um die Erfahrungen ihrer Väter und Großväter nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. "Wir sind mit den Erzählungen aufgewachsen. Deshalb können wir die Texte nicht nur verstehen, sondern auch fühlen", erklärt Piazzi.

Lieder als Testamenteeines Krieges

Als Testamente eines Kriegs, der Europa für immer veränderte, sind die Lieder zwar poetisch, aber auch roh und ehrlich in ihrer Verzweiflung, ohne heldenhaftes Pathos. Edelweiß blüht über den Gefallenen, Familien beten für Frieden, und Frauen finden nicht ihre Männer, sondern nur noch deren Gräber.

Dass Friede herrsche - und dass Italiener und Ungarn mit Autobussen durch Täler und über Gebirge heimreisen werden, in denen man sich damals im erbitterten Kampf gegenüberstand - all das dürfe man nicht für selbstverständlich nehmen. "Am Frieden muss man auch arbeiten", sagt einer der italienischen Sänger.

Die Plakette der Dolomitenfreunde, die den Italienern und Ungarn als Dankeschön überreicht wird, zeigt zwei sich haltende Hände vor dem Hintergrund eines Gipfels. Es ist ein Symbol für das Zusammentreffen ehemaliger Feinde in genau den Bergen, in denen Tausende ihr Leben ließen, um Grenzen zu verteidigen, die es heute nicht mehr gibt. Als am Ende des Konzertes gemeinsam die Hymnen der drei Länder gespielt werden, kommt Freude bei Musikanten und Publikum auf. Als stimmungsvoll empfand man den Abend, man ist froh über die Aufführung der ungarischen und italienischen Gäste, spricht über ihre schöne Musik. Danke, grazie, köszönom, dann erschöpft sich das gemeinsame Vokabular. Stattdessen bedient man sich breiten Lächelns, freundlichen Nickens, des Almdudlers und Biers - und reicht sich abermals die Hände.