Wenn Geschichte geschrieben wird, scheint die Welt einen Moment lang anzuhalten. So auch am 12. November 1918. Die Menschen strömen vors Parlament, die Straßenbahn steht still. Doch das Leben geht weiter. Werfen wir einen Blick auf den Sekundenzeiger der Geschichte: Was berichtete die "Wiener Zeitung" in diesen Herbsttagen? Mit der auf den Seiten I und II dieser Jubiläumsnummer nachgedruckten Extra-Ausgabe machte sie Weltgeschichte.
Der Umbruch, der mit dem Ende der Habsburgerherrschaft und der Ausrufung der Republik stattfand, ist Leserinnen und Lesern sofort ersichtlich: Am 12. November 1918 erscheint die altehrwürdige "Wiener Zeitung" das letzte Mal mit dem kaiserlichen Adler auf dem Kopf des Blattes. Am nächsten Tag prangt der Titel ohne imperialen Schmuck etwas klobig auf der ersten Seite. Aus der kaiserlichen "Wiener Zeitung" war das Blatt der Republik geworden. In der Redaktion in der Wiener Bäckerstraße war man sich der Bedeutung des Umsturzes bewusst. Und doch, so schilderte es der spätere Chefredakteur Rudolf Holzer im Nachhinein, gab es "auch weiterhin nur die eine Aufgabe: dem Staate zu dienen als sein objektives Instrument."
Was die Leserinnen und Leser des Blattes in diesen Tagen wohl am meisten interessierte, war die Sorge um die Ernährung. Ein kurzer Bericht mit der kargen Überschrift "Die Fleischversorgung" informierte in der Ausgabe vom 12. November: "Für die Woche vom 14. bis 20. d. M. (des Monats, Anm.) stehen nur verhältnismäßig geringe Fleischmengen zur Verfügung. Die Rindfleischausgabe erfolgt in dieser Woche nur an die Spitäler und Versorgungshäuser, die Kriegs- und Gemeinschaftsküchen sowie an die Bahnbediensteten."
Fleisch gibt es in anderen Wochen nur mit Bezugsschein. Doch auch das oft lediglich auf dem Papier. "Die Haushaltungen, die kein Fleisch zugewiesen erhalten, werden als Ersatz im Laufe der nächsten Tage einmalig ein Achtelkilogramm Mehl" bekommen. Frauen, die nicht wussten, wie sie allein ihre hungernden Kinder durch den Winter bringen sollten, wird das bestenfalls ein müdes Lächeln gekostet haben.
Etwas weiter unten in dieser Spalte wird darüber informiert, dass "der Ausschank von Alkohol für den 12. und 13. November ausnahmslos verboten" ist. Dass im Inseratenteil der "WZ" ausgerechnet am 13. November "die Versteigerung von 6000 Flaschen Kognak" im Dorotheum angekündigt wird, mag das Publikum erheitert haben.