Die Menschen frieren und hungern in ihren eiskalten Wohnungen, Kinder können vor Unterernährung nicht in die Schule gehen. Immer wieder kommt es zu Plünderungen, der Schleichhandel blüht. Die wirtschaftliche Lage Österreichs am Ende des Ersten Weltkriegs ist katastrophal. Hundert Jahre später zählt das Land zu den reichsten der Welt, misst man den Wohlstand an der Wirtschaftsleistung. Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von rund 42.000 Euro lag Österreich 2017 in der Weltrangliste auf Platz 15. Wenngleich auch hierzulande die Debatte über soziale Gerechtigkeit an Schärfe zugenommen hat, herrschen soziale Standards, die zu den höchsten weltweit zählen.

Die Ausgangssituation zu Beginn der Republik war alles andere als rosig. Mit dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie zerfiel nicht nur ein Staatsgebiet, sondern auch ein weitgehend geschlossener und geschützter Wirtschaftsraum ohne Handelsbeschränkungen. Nun lassen die neuen Nachbarstaaten die Zollschranken herunter.

Der Krieg hat alle Ressourcen aufgebraucht, und es herrschen große Zweifel an der ökonomischen Überlebensfähigkeit des neuen Kleinstaates, der mit Massenarbeitslosigkeit, Hyperinflation und Währungsabwertung kämpft.

Schon während des Kriegs waren wichtige Konsumgüter aus den Regalen verschwunden. Die Preise verdoppelten sich von 1914 bis 1918 jährlich, das Wenige, das es noch gibt, ist schlichtweg unerschwinglich. Selbst wer Lebensmittelmarken für Fleisch, Zucker oder Mehl hat, der stellt sich oft eine ganze Nacht lang vergeblich an. Das Amt für Volksernährung veröffentlicht in der "Wiener Zeitung" eine Anleitung zur Nutzbarmachung gefrorener Kartoffeln, besonders Arme können Wohlfahrtsfleisch zu reduzierten Preisen kaufen.

Die für Österreich wichtigen Kohlelager befinden sich in Böhmen, das nun in der Tschechoslowakei liegt. Durch die zusammengebrochene Versorgung mit Kohle müssen viele österreichische Industriebetriebe stillgelegt werden. Entsprechend trostlos ist auch die Lage am Arbeitsmarkt. Hatte die Kriegskonjunktur noch für "Vollbeschäftigung" gesorgt, waren 1919 mehr als 400.000 Menschen arbeitslos, was einer Erwerbslosenquote von über 18 Prozent entsprach.

Der Schock über den Zerfall der Monarchie sitzt tief, vor allem in der ehemaligen Reichshauptstadt Wien und ihrer Umgebung. Das Zentrum eines Vielvölkerstaats mit 52,8 Millionen Menschen befindet sich plötzlich am Rand eines Kleinstaates mit sechs Millionen Einwohnern. "Wien ist 1918 das Problem. Hier sitzen die Diplomaten und Spitzenbeamten, der Großhandel, die Banken, die Versicherungen und die großen Zeitungen. Sie alle haben den Verlust der Großmachtstellung mentalitätsmäßig nicht geschafft", sagt der Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel.