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Republik für ein paar Stunden

Von Christian Hütterer

Eine Episode aus der Geschichte des Burgenlandes: Vor hundert Jahren wurde im heutigen Mattersburg ein kurzlebiger Staat gegründet: die Republik Heinzenland.


Es war ein Fiasko. Im Dezember des Jahres 1918 riefen burgenländische Aufständische in Mattersdorf (ab 1924 Mattersburg) die Republik Heinzenland aus. Sie hatten große Ziele und wollten die deutschsprachige Bevölkerung Westungarns in diesem jungen Staat vereinen, aber schon nach ein paar Stunden platzte der Traum. Ungarische Soldaten bereiteten dem Spuk ein Ende und verhafteten die Aufrührer.

Wie es zu diesem abenteuerlichen Unternehmen kam, zeigt ein Blick zurück: Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurde vorgeschlagen, die deutschsprachigen Gebiete im Westen Ungarns an den österreichischen Teil der Doppelmonarchie anzuschließen. In Wien entstanden mehrere Vereine mit diesem Ziel, wie etwa jener zur "Erhaltung des Deutschtums in Westungarn", die aber ohne großen Zulauf blieben. Auch der Reformer Aurel Popovici, der die Monarchie nach ethnischen Gesichtspunkten neu gliedern wollte, schlug vor, die deutschsprachigen Gemeinden Ungarns in ein noch zu schaffendes Deutsch-Österreich zu integrieren. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges drängte diese Vorhaben allerdings in den Hintergrund.

Als der Krieg nach vier Jahren im Herbst 1918 zu Ende ging, änderte sich die politische Karte Europas grundlegend. Die Doppelmonarchie zerfiel, und am 12. November 1918 wurde in Wien die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Wenige Tage später erließ die Nationalversammlung des jungen Staates das "Gesetz über Umfang, Grenzen und Beziehungen Deutschösterreichs" und forderte darin Südtirol, die Untersteiermark und das Sudetenland für sich, darüber hinaus verlangte man die deutschsprachigen Gebiete im westlichen Ungarn.

Die betroffenen Gemeinden waren einverstanden, ein Teil Österreichs zu werden. Neben sprachlichen und kulturellen Überlegungen waren es vor allem wirtschaftliche Gründe, die zu dieser Entscheidung führten, denn der wichtigste Absatzmarkt für die Produkte der Region war Wien.

Hasardunternehmen

Sowohl die Regierung in Wien wie auch die Bevölkerung wollten also die Eingliederung nach Österreich, dennoch sollte es noch Jahre dauern, bis sie Wirklichkeit wurde. Kurz nach dem Krieg war die internationale Lage ungeklärt, die großen Kaiserreiche Europas waren zerfallen, neue Staaten entstanden - und bis zum Abschluss der Friedensverträge in den Pariser Vororten sollte noch einige Zeit vergehen.

In dieser Phase der Unsicherheit wollte der Gewerkschafter Hans Suchard durch ein Hasardunternehmen vollendete Tatsachen schaffen, das er später mit folgenden Worten zusammenfasste: "Bei Ungarn wolln ma net bleiben. Nach Österreich lasst ma uns net. Na, dann ham ma halt a eigene Republik gmacht."

So kam es, dass am 6. Dezember 1918 in Mattersburg die Republik Heinzenland ausgerufen wurde. Wer hinter diesem zugleich naiven und operettenhaften Streich stand, ließ sich bis heute nicht feststellen. Die Vermutung liegt nahe, dass Gewerkschafter und Sozialdemokraten aus dem südlichen Niederösterreich darin verwickelt waren, zumal viele der Aufständischen dieser Partei angehörten. Offiziere des jungen Bundesheeres waren ebenfalls eingeweiht, denn in österreichischen Kasernen nahe der Grenze lagen Waffen und Munition bereit, um die Aktivisten damit auszustatten.

Die Aufrührer hatten zwar hehre Ziele, ihr Unternehmen war aber laienhaft vorbereitet. Weder die Regierung in Wien noch die Vertreter der Siegermächte waren informiert worden. Man hoffte schlicht darauf, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das zuvor vom amerikanischen Präsidenten Wilson proklamiert worden war, auch für Westungarn gelten würde.

Die deutschsprachige Bevölkerung der Region sympathisierte zwar mit den Revolutionären, war aber nicht informiert worden und konnte deshalb nicht helfend eingreifen. Die Waffentransporte erreichten ihre Ziele nicht, einer wurde bereits von der österreichischen Gendarmerie als illegaler Waffentransport angehalten, zwei weitere schafften es zwar bis nach Ungarn, wurden dort aber von Soldaten gestoppt.

Ein einziger Trupp hatte mehr Erfolg, er überschritt bei Neudörfl die Grenze und marschierte bis Mattersburg. Dort hatte inzwischen Hans Suchard mit seinen Gewerkschaftern die Macht ergriffen. Propagandareden wurden geschwungen und die Aufständischen mit den österreichischen Waffen ausgerüstet. Als die Revolutionäre nach Ödenburg aufbrechen wollten, war es allerdings schon spät geworden, und so wurde der Weitermarsch kurzerhand auf den nächsten Tag verschoben.

Man nutzte die Zeit, um am Abend feierlich die Republik Heinzenland auszurufen. Nach der Vorstellung seiner Gründer sollte der kleine Staat mit der Hauptstadt Ödenburg alle deutschsprachigen Gemeinden im Westen Ungarns umfassen. Ein Beitritt der jungen Republik zu Österreich schien wegen der politischen Lage zwar ausgeschlossen, aber zumindest sollten die beiden in einer Wirtschaftsgemeinschaft vereint werden.

Zum Tode verurteilt

Dem Heinzenland war aber kein langes Leben beschieden. Noch in der Nacht wurde eine ungarische Alarmeinheit in Ödenburg mobilisiert und nach Mattersburg geschickt. Im Morgengrauen war der Ort umzingelt, die im Schlaf überrumpelten Aufständischen ließen sich widerstandslos entwaffnen und festnehmen. Der Historiker und Zeitzeuge Norbert Leser beschrieb in seinen Erinnerungen Suchards Reaktion darauf folgendermaßen: "Uns können sie von unserem souveränen Gebiet nicht entfernen. Vor allem nicht mit solchen Rotzbuben von Soldaten. An der Isonzofront habe ich mich auch nicht gefürchtet, und jetzt kann jeder Lauser mich und die anderen Regierungsmitglieder einfach verhaften. Schaun’s, dass weiterkommen."

Das resolute Auftreten hatte aber nicht den gewünschten Erfolg, die ungarischen Truppen verhafteten Suchard und brachten ihn zum Bahnhof. Dort trat ein Standgericht zusammen, das ihn zum Tode verurteilte. Dieses Urteil wurde aber nicht exekutiert, Suchard wurde in das Gefängnis nach Ödenburg gebracht und konnte später nach Österreich fliehen.

Die Ausrufung der Republik Heinzenland scheiterte also kläglich, blieb aber nicht die letzte Wirrnis auf dem Gebiet des heutigen Burgenlands. Auch der Abschluss der Friedensverträge mit Österreich und Ungarn brachte keine endgültige Klärung der Lage. Die Gebiete im westlichen Ungarn wurden zwar Österreich zugesprochen, es geschah aber nichts.

Die Regierung in Wien konnte ihre Ansprüche nicht durchsetzen, jene in Budapest spielte auf Zeit, und die Siegermächte wollten sich in die Streitereien zweier Kriegsverlierer nicht einmischen. Eine interalliierte Militärkommission wurde in Ödenburg eingesetzt, sie brachte aber auch keine Fortschritte, denn weder Großbritannien noch Frankreich hatten ausreichend Truppen in der Region stationiert, um eine Entscheidung umsetzen zu können.

Lange herrschte Ungewissheit, wie es mit der Region weitergehen sollte. Gerüchte über die Schaffung eines slawischen Korridors, der die Tschechoslowakei und Jugoslawien verbinden und die kroatischen Ortschaften in Westungarn beinhalten sollte, machten die Runde. Entscheidend war schließlich der Restaurationsversuch, den der frühere ungarische König und österreichische Kaiser Karl im März 1921 unternahm. Um die Wiederkehr der Habsburger zu verhindern, drängten die Siegermächte nun auf eine rasche Lösung der Grenzfrage. Ungarn wurde aufgefordert, seine Truppen aus der Region abzuziehen. Dies geschah zwar, zugleich rüstete die ungarische Regierung aber Freischärler aus.

Österreich sollte nun endlich das Gebiet besetzen. In Verhandlungen mit den Großmächten wurde aber beschlossen, dass dabei nicht das Bundesheer, sondern lediglich Einheiten der Gendarmerie und der Zollwache zum Einsatz kommen dürften.

Was folgte, war ein Debakel: Die gut bewaffneten ungarischen Freischärler jagten die Österreicher hinter die Grenze zurück und stießen bis nach Niederösterreich vor. Nun war es an der ungarischen Seite, einen kurzlebigen Staat zu gründen. Am 4. Oktober 1921 riefen Aktivisten in Oberwart den Staat "Leitha-Banschaft" (Lajtabánság) aus.

Anders als bei der Gründung des Heinzenlands war man hier besser organisiert. Als Nachweis der staatlichen Souveränität wurden Ausweise ausgestellt und Briefmarken gedruckt. Züge zwischen Ungarn und Österreich mussten Zoll zahlen, indem ein Teil der transportierten Waren beschlagnahmt und versteigert wurde, dazu unterstützten ungarische Stellen die junge Republik durch Lebensmittel- und Munitionslieferungen.

Frage nach den "Hean"

Dennoch war auch dieses Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Nach internationalem Druck beendete Ungarn seine Unterstützung für die Banschaft, und österreichische Truppen konnten die zugesprochenen Gebiete besetzen. Im Dezember 1921 fand schließlich in Ödenburg und umliegenden Gemeinden eine Volksabstimmung statt, mit der die Zugehörigkeit der Stadt entschieden werden sollte. Die Mehrheit stimmte für den Verbleib bei Ungarn, aber es waren Gerüchte zu hören, dass das Referendum manipuliert worden sei.

Das neu entstandene österreichische Bundesland wurde nach den Hauptorten der vier ungarischen Komitate, auf deren Gebiet es lag, Burgenland genannt. Von den namensgebenden Städten Pressburg (Bratislava), Wieselburg (Moson), Ödenburg (Sopron) und Eisenburg (Vasvár) liegt allerdings keine im heutigen Burgenland. Bleibt noch die Frage, wie das kurzlebige Heinzenland zu seinem außergewöhnlichen Namen kam. Eine Theorie besagt, dass Marktfahrer aus dem heutigen Burgenland in Wien vor allem Hühner anboten. Aus dem Dialektwort "Hean" soll sich der Spottname "Heankramer" für die Händler ergeben haben, der schließlich auf deren Herkunftsregion übertragen wurde.

Möglicherweise leitet sich der Name auch vom Wort "jetzt", das im hianzischen Dialekt "hiaz" oder "hianz" ausgesprochen wird, her. Bis heute bleibt ungeklärt, woher die Bezeichnung "Heinzen", "Heanzen" oder "Hianzen" für die Bewohner des mittleren und südlichen Burgenlandes kommt, aber immerhin wurde für wenige Stunden ein eigener Staat nach ihnen benannt.

Christian Hütterer, geboren 1974, Studium Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, Dissertation über internationale Zusammenarbeit im Ostseeraum, lebt und arbeitet in Brüssel.