In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 wurde Schuschniggs Abschiedsrede von der Titelseite entfernt. Faksimile
In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 wurde Schuschniggs Abschiedsrede von der Titelseite entfernt. Faksimile

Es war vielleicht der schwierigste Auftrag, den er in seiner langen Laufbahn als Journalist erhielt: Unter dem Titel "Rückblick und Abschied" hatte Rudolf Holzer, seit der Jahrhundertwende beim Blatt tätig, in der vermeintlich letzten Nummer der "Wiener Zeitung" den Leserinnen und Lesern Lebewohl zu sagen - eine "schmerzliche Ehre", wie er sich später erinnern wird. Am 29. Februar 1940 erschien die Abschiedsausgabe. "Nach 237jährigem Bestande", so Holzers Text, "tritt die ,Wiener Zeitung‘ in das Schattenreich, in dem die Menschen, Geschehnisse und Begriffe, die ihre Bände einst erfüllten, bereits versammelt sind."

Es folgt ein Abriss der 1703 beginnenden Historie des Blattes, der mit der nüchternen Mitteilung endet, dass "der ,Völkische Beobachter‘ (Wiener Ausgabe) die Weiterführung der bisher in der ,Wiener Zeitung‘ erschienenen amtlichen Mitteilungen mit 1. März 1940" übernimmt.


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Gott schütze Österreich - Schuschniggs Ansprache
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Damit war das österreichische Traditionsblatt Geschichte, die Redaktionsräume sollten bald leerstehen und später zum Lager verkommen, die Maschinen abtransportiert oder verschrottet werden. Fünfeinhalb Jahre dauerte es, bis die Zeitung am 21. September 1945 wieder erscheinen konnte. Es war dies die einzige Epoche seit ihrer Gründung, in der sie schweigen musste.

Ferdinand Reiter, "WZ"-Chef 1933-1938 und 1945-1955. "WZ"-Archiv
Ferdinand Reiter, "WZ"-Chef 1933-1938 und 1945-1955. "WZ"-Archiv

Es gab wohl vieles, was Holzer zum Abschied gerne geschrieben hätte, aber nicht schreiben durfte. Da der redaktionelle Teil bereits im Februar 1939 eingestellt worden war, blieben nur magere acht Seiten, die bis auf den Abschiedsartikel lediglich amtliche Verlautbarungen auflisteten. Doch auch - oder gerade - diese trockenen Meldungen boten erschütternden Lesestoff. So erfuhr man gleich auf der ersten Seite, aus der ersten Meldung: Die Behörde gibt "der Jüdin Auguste Sara Schulhof auf Grund der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 (. . .) auf, ihre Liegenschaft (. . .), 3. Bezirk, Kölblgasse 31, bis zum 6. März 1940 zu veräußern."

Auch die "Firmenprotokollierungen" hatten in den vergangenen zwei Jahren den NS-Terror dokumentiert: Seitenweise konnte man offizielle "Arisierungen" schwarz auf weiß nachvollziehen. So kam dem gleichgeschalteten Blatt die traurige Rolle der Chronistin von Vertreibung und Enteignung zu.

Dem Untergang war die "WZ" schon am 11. März 1938 geweiht. Als die Hitler-Truppen die Grenze überschritten, blühte den Zeitungsredaktionen des Landes entweder Gleichschaltung oder Ausschaltung. "Passen Sie auf", wies Hermann Göring die Deutsche Gesandtschaft in Wien an jenem Freitag um 17 Uhr telefonisch an, "die ganzen Presseleute, die müssen sofort weg und unsere Leute hineinkommen". Noch in der Nacht auf den 12. März, hält der Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell fest, besetzten "SA- und SS-Einheiten, teilweise unterstützt von HJ und nationalsozialistischen Journalisten", die meisten Redaktionen.