Die Wirtschaftslage war damals auch nicht rosig, also war man zu solch einer Überwältigung wohl bereit . . .

Sicher, die Arbeitslosigkeit war hoch, die Not in vielen Familien sehr groß. Aber drüben, in Deutschland, das wusste man - da gab es Arbeit und Brot. Was die Leute nicht wussten und nicht wissen konnten: dass Hitlers überstürzte Expansion, die mit dem "Anschluss" Österreichs einsetzte, eine Art Flucht nach vorne war, weil das Reich aufgrund der monströsen Ausgaben für die Aufrüstung ab Ende 1937 stets knapp vor dem Kollaps stand. Die Einverleibung Österreichs half Hitler, den Staatsetat einige Monate über Wasser zu halten. Und dann musste eben die Tschechoslowakei herhalten, und schließlich Polen und so weiter . . .

Betrachten wir die ambivalente Rolle der katholischen Kirche: War sie mehr Opfer oder NS-Bündnispartner?

Also als Bündnispartner kann man sie beim besten Willen nicht bezeichnen. Sicher, die Erklärung der Bischöfe für ein "Ja" bei der Volksabstimmung und das berüchtigte "Heil Hitler" Kardinal Innitzers hat eine enorm wichtige Rolle in der NS-Propaganda gespielt. Viele gläubige Katholiken ließen sich dadurch trotz aller Zweifel davon überzeugen, für Hitler zu stimmen. Aber bekanntlich gingen schon bald nach der Abstimmung die Schikanen gegen die Kirche los: gegen die katholischen Vereine, die Schulen, die bewusst forcierte Kirchenaustrittsbewegung, die zahllosen Klosteraufhebungen etc. Viele Priester wurden suspendiert, vertrieben, kamen unter fadenscheinigen Vorwürfen ins KZ.

Andererseits darf man nicht übersehen, dass die Kirche dazu beitrug, die Lage zu stabilisieren. Zu Kriegsbeginn wurden die Soldaten in einem Hirtenbrief zum Gehorsam gegenüber dem Führer aufgerufen. Man agierte nach dem altbewährten Grundsatz: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist."

Sie beschreiben den "spezifisch österreichischen Widerstand": Worin lag das speziell Österreichische?

Es bestand eine völlige organisatorische Trennung zwischen dem österreichischen und dem deutschen Widerstand. Die österreichischen Widerstandskämpfer hatten das Ziel, einen unabhängigen und demokratischen Staat Österreich wiederherzustellen. An eine gesamtdeutsche demokratische Lösung dachte meines Wissens in Österreich niemand ernstlich. Das galt sowohl für den kommunistischen als auch den katholisch-konservativen Widerstand. Ein in der Ersten Republik nicht gekanntes Österreich-Bewusstsein setzte sehr bald ein. Schon im Sommer 1938 ging es mit den ersten Vorbehalten gegen die "Piefkes" los. Und im Laufe des Krieges ist diese antideutsche Stimmung immer stärker geworden.