Einer These, der Sie nicht zustimmen.

Ich folge da Bertram Perz vom Institut für Zeitgeschichte in Wien, der sich die Zahlen näher angeschaut und keinen Nachweis gefunden hat, dass Österreicher als Täter überrepräsentiert gewesen wären. Es gab in manchen Bereichen und situationsbedingt Überrepräsentationen, etwa rund um den Halb-Österreicher Eichmann oder den Voll-Österreicher Globocnik. Aber wenn man sich darüber hinaus bestimmte abgrenzbare Tätergruppen näher ansieht, lässt sich alles in allem kein Überhang von Österreichern unter den Tätern feststellen. Ich halte weder die selbstmitleidige Opfer- noch die selbstquälerische Täterthese für haltbar und weiterführend.

In einem anderen Bereich aber sind Österreicher, wie Sie auch schreiben, eindeutig unterrepräsentiert - und zwar bei den Toten der Wehrmacht. Soldaten aus der Ostmark gehörten, verglichen mit ihren Kameraden aus dem deutschen Altreich, überdurchschnittlich oft zu den Überlebenden. Wie kann man sich das erklären?

Aus der Studie von Rüdiger Overmans über die Toten der Wehrmacht geht hervor, dass die Todesrate unter Soldaten aus Österreich signifikant geringer war als unter solchen, die aus den Gebieten der heutigen Bundesrepublik kamen. 19 Prozent aller zur Wehrmacht eingezogenen Ostmärker starben im Krieg oder in Folge des Krieges. Das ist erschreckend hoch, aber relativ wenig im Vergleich zu den Soldaten aus dem Altreich. Von denen kamen nämlich nicht weniger als 31 Prozent ums Leben. Wenn die Zahlen, und davon muss ich ausgehen, korrekt sind, muss der Grund für die signifikant geringere Todesrate der ostmärkischen Soldaten im Bereich der Motivation liegen. Es könnte sein, dass sie alles in allem mit merkbar weniger Eifer und Fanatismus als ihre Kameraden aus dem Altreich am Kampf teilnahmen. Vielleicht, weil viele diesen Krieg doch nicht so ganz als den ihren empfanden. Ich stelle daher in meinem Buch die Frage, ob nicht ein beträchtliches Loyalitätsdefizit unter den österreichischen Soldaten vorhanden war. Und ob man nicht vom Verhalten der Soldaten auf die österreichische Gesellschaft insgesamt rückschließen kann. Dieses Thema sollte unbedingt noch näher untersucht werden. Hier ist die Geschichtsschreibung als Wissenschaft gefordert.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Sie haben die Deporta-
tion und Ermordung der Juden und all die ganzen Gräueltaten sehr genau und detailliert beschrieben. Was macht das mit einem während des Schreibens?

Man beschäftigt sich mit diesem Thema über viele Monate - und natürlich ist das belastend. Am schlimmsten war für mich das Kapitel über die Euthanasieanstalt Hartheim in Oberösterreich. Vermutlich deshalb, weil ich familiär betroffen bin. Ich habe einen zwei Jahre älteren Bruder, der geistig behindert ist und den ich sehr liebe. Ich habe mir beim Schreiben immer vorgestellt, dass ihm genau dasselbe passiert wäre wie den armen unschuldigen Opfern von Hartheim. Es ist fast unerträglich, das zu beschreiben, was dort passiert ist. Aber es ist notwendig.