Mit der verstärkten Rücksichtnahme auf ungarische Interessen durch den Ausgleich mit Ungarn und die Schaffung einer Doppelmonarchie - gleichfalls im Jahr 1867 - wurden die Slawen vor den Kopf gestoßen und die Nationalitätenfrage spitzte sich zu.

Als der Kaiser schließlich gegen beträchtliche Widerstände der Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechtes für Männer im Jahr 1907 zustimmte, wurde das Ständeparlament zu einer Volksvertretung, die eine eigene Dynamik entwickelte.

Kaiser Karls Völkermanifest konnte nichts mehr erreichen

Bereits sieben Jahre später löste ein dramatischer Funke im Pulverfass Balkan, nämlich die Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo, den Ersten Weltkrieg aus. Millionen Menschen erlebten im Zeitraffer einen fundamentalen Wandel: Mit Hurra und Patriotismus, mit Sang und Klang zogen die Soldaten in den Krieg und wurden von den Zivilisten bewundert und beklatscht. Vier Jahre später kehrten sie - falls sie den Krieg überlebt hatten - geschlagen, erbittert, enttäuscht, vielfach körperlich und seelisch verwundet und oft mit radikalen Ideen in ihre zerstörte, hungernde und verunsicherte Heimat zurück.

Kaiser Karl musste dieser Entwicklung mehr oder weniger ohnmächtig zusehen. Sein Vorgänger, Kaiser Franz Joseph, war an der Seite des Deutschen Kaisers in den Krieg gezogen und Kaiser Karl konnte sich aus dieser Allianz nicht mehr befreien, obwohl Kriegsmüdigkeit und der Wunsch nach einem Waffenstillstand beim österreichischen Kaiser deutlich früher einsetzten als bei seinem Waffenkameraden, dem Deutschen Kaiser.

Mitte Oktober 1918, als sich die Österreichisch-Ungarische Monarchie schon in Auflösung befand, machte Kaiser Karl noch einen letzten verzweifelten Rettungsversuch. In seinem "Völkermanifest" vom 16. Oktober bot er den einzelnen Nationalitäten der Monarchie "Selbständigkeit" im Rahmen eines "Bundesstaates" an.

Wörtlich führte er aus: "Österreich soll, dem Willen seiner Völker gemäß, zu einem Bundesstaat werden, in dem jeder Volksstamm auf seinem Siedlungsgebiet sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet . . . Diese Neugestaltung, durch die die Integrität der Länder der ungarischen heiligen Krone in keiner Weise berührt wird, soll jedem nationalen Einzelstaate seine Selbständigkeit gewährleisten."

Aber das war zu wenig und zu spät. Schon im Juli 1918 war die letzte österreichische Offensive an der italienischen Front gescheitert. Zur gleichen Zeit begannen die Tschechen ganz konkret mit den Vorbereitungen zur Gründung eines eigenen Staates. Am 29. Juni 1918 erklärte die französische Regierung gegenüber Edvard Benes (dem Staatspräsidenten der Tschechoslowakei ab 1935), dass sie den in Paris gegründeten Tschechoslowakischen Nationalrat als Vertreter der Tschechoslowakischen Nation anerkenne. Im August anerkannte auch Großbritannien die Tschechoslowakei, deren Soldaten teilweise noch in der Österreichisch-Ungarischen Armee kämpften, als selbständigen Staat.