"Hier lernt man Weinen, wenn man es noch nicht kann", sagt Loni Holl bei ihrer Ankunft in der tschechischen Kleinstadt. Die Heldin in Lili Grüns Roman "Zum Theater" tritt in dem Kaff ihr erstes Bühnenengagement an. "Zum Theater" erzählt unter anderem davon, wie die junge Wienerin fern der Heimat mit ihrem ersten kargen Gehalt zurande kommt ("das Leben ist: manchmal ab dem 25. hungrig sein"), auf welch "mittelberühmte" Bühnenkräfte sie in dem fiktiven Ort in Mährisch-Niedauer trifft - und wie alle Schauspieler hier klammheimlich auf den Karrieresprung an eine Metropolenbühne hoffen.

Ab 1935 als Fortsetzungsroman im "Neuen Wiener Tagblatt" erschienen, wurde das autobiografisch geprägte Buch von den Zeitgenossen als "reizend" empfunden. Dass eine Wienerin in der tschechischen Provinz unter prekären Bedingungen Theater spielte, konnte die damaligen Leser nicht gerade verblüffen: Im kollektiven Bewusstsein war Theater innerhalb der ehemaligen Monarchie selbstverständlich deutschsprachiges Theater. Das während der Habsburgerherrschaft flächendeckend ausgebaute Netz deutschsprachiger Bühnen vermochte sich länger zu halten als die Monarchie; nach 1918 existierte in weiten Teilen der ehemaligen Kronländer eine Vielzahl an Bühnen, auf denen deutsch gesprochen wurde.

Die deutschsprachigen Theater im fremdsprachigen Staatsgebiet ist eines jener Kapitel der österreichischen Theatergeschichte, das bislang kaum erforscht wurde. Zahlreiche Künstler absolvierten seinerzeit die Tour durch Kakanien: Gustav Mahler sammelte erste Berufserfahrungen am Prager Deutschen Theater; Johann Nestroys Karriere nahm in Brünn Fahrt auf. Diese Spielstätten waren freilich nicht nur Karrieresprungbretter für junge Talente, sondern auch fest eingebettet in lukrative Gastspiel-Routinen. Viele Wiener Bühnen, viele bekannte Schauspieler, von Fritz Kortner bis Hans Moser, gingen im gesamten mitteleuropäischen Raum auf Tournee.

Schaltzentrale Wien

Die Bühnen existierten weitgehend autonom, wurden von der regionalen deutschsprachigen Minderheit besucht und finanziert; auf den Spielplänen standen Klassiker, Salonstücke und Operetten, alle paar Wochen wurden neue, publikumswirksame Stücke gezeigt. Bis 1918 war Wien die kommunikative Schaltzentrale gewesen, wobei der interkulturelle Austausch zwischen Stadt und Provinz zwischen Anbetung und Ablehnung changierte. Spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzten allerorts Emanzipationsbewegungen ein: Es galt, die kulturelle Wien-Bevormundung abzuschütteln. Vor diesem Hintergrund verweist die Geschichte der deutschsprachigen Bühnen wie ein Brennspiegel auf die politisch brisante Gesamtlage.