Es gibt Geschichtsepochen, die, so scheint es, nicht vergehen, die die Öffentlichkeit auch nach Jahrzehnten noch aufrütteln, polarisieren, nicht in Ruhe lassen. Etwa der Zweite Weltkrieg. Die Unerbittlichkeit des Vernichtungswillens Hitlerdeutschlands hat sich in das Gedächtnis Europas tief eingebrannt. Die Figur des NS-Diktators am Titelblatt garantiert hohe Auflagen. Mit der industriellen Massenvernichtung der europäischen Juden wurden Hitler und seine Getreuen weltweit zu einem Symbol des Bösen. Vor allem im Osten Mitteleuropas erinnert man sich darüber hinaus aber auch an die Verbrechen, die die Stalin’sche Sowjetunion zu verantworten hat, und an viele andere Wunden, die die Zeit des Totalitarismus dem geschundenen Europa geschlagen hat.

Die Wunden des Ersten Weltkriegs wirken demgegenüber verheilt. Der "Große Krieg", wie ihn Briten und Franzosen heute noch nennen, ist Geschichte, und das nicht nur wegen der hundert Jahre, die seit seinem Ende ins Land gezogen sind. Die Gründe für sein Entstehen wecken keine Emotionen mehr, die Welt, die auf ihn folgte, scheint mit der heutigen nicht allzu viel gemein zu haben. Es gibt keine zukunfts- und geschichtsschwangeren Erlösungsideologien und auch keine Parteiarmeen mehr - auch wenn manche in der gegenwärtigen Polarisierung der Gesellschaft Analogien zur Zwischenkriegszeit zu entdecken glauben.

Und dennoch - die Geschehnisse rund um den Ersten Weltkrieg sind uns nicht so fremd, wie es scheint. Es ist kein Zufall, dass Historiker wie etwa Herfried Münkler das große Sterben in den Schützengräben als jene "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" sehen, die den Kontinent in einen Abwärtsstrudel gerissen hat, der zur Spaltung Europas in Einflusszonen zweier Supermächte geführt, aber auch in vielfacher Hinsicht die Moderne befeuert hat. Dieses durch den großen Krieg eingeleitete "kurze 20. Jahrhundert" habe erst mit den friedlichen Revolutionen 1989 und der darauffolgenden Vereinigung Europas im Zeichen der EU sein - glückliches - Ende gefunden.

Lust auf Heldentum

So scheint es jedenfalls, wenn man einer Erzählung Glauben schenken will, die in der Neuzeit dominant geworden ist und die die frühere christliche Heilsgeschichte ersetzt hat - der Erzählung des Fortschritts. In diesem Modell, das durch die rasante technische Entwicklung immer wieder bestätigt wird, entwickelt sich Geschichte nicht zyklisch in einem Auf und Ab von Aufstieg und Niedergang wie etwa bei Oswald Spengler, sondern linear - von der Steinzeit in die Jetztzeit und weiter in eine bessere Zukunft. Der liberale oder auch linke Fortschrittsoptimismus hält "Rückfälle" in die Barbarei, wie es bezeichnenderweise heißt, zwar für möglich, geht aber davon aus, dass sich - "im 21. Jahrhundert" - letztlich doch die zivilisatorische Entwicklung zum Besseren nicht aufhalten lassen wird.