
Geschichtsbilder entstehen immer durch Erinnern und Vergessen. Welche Ereignisse und Traditionen wie erinnert, welche Passagen der Geschichte vergessen werden, das wird durch die jeweiligen Rahmenbedingungen der Gegenwart bestimmt. Deshalb ist unser Blick auf die Monarchie im Jahr 2018 ein anderer, als er in den 20er, 30er, 50er oder 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war.
Inwiefern?
1918 standen, jedenfalls auf dem Gebiet des heutigen Österreichs, die Niederlage und der Verlust im Zentrum; in jenen Gebieten der Monarchie, die endlich die ersehnte Unabhängigkeit erhielten, etwa in Böhmen, das vom Trauma der Niederlage gegen die Habsburger in der Schlacht am Weißen Berg 1620 geprägt war, prägte der Aufbruch die Erinnerung. Für die Nationalsozialisten waren die Habsburger aufgrund ihrer übernationalen, erzkatholischen Ausrichtung zuallererst Verbrecher an der "Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes". Und auch nach 1945, als sich Österreich erneut auf die Suche nach positiven Versatzstücken in der Geschichte machte, taugte die Monarchie nicht zur Entwicklung eines positiven Nationalgefühls. Also griff man auf die älteren Traditionen der Bundesländer als Vorläufer des Kleinstaats Österreich zurück, auf den Zusammenschluss Oberösterreichs, Niederösterreichs, Kärntens, der Steiermark, von Tirol und der Vorlande im Mittelalter. Und auch aus dieser Perspektive kommen die Habsburger nicht gut weg. Ein positiver Blick auf die Monarchie hatte deshalb erst eine Chance, als die Zweite Republik ein gefestigtes Nationalgefühl besaß. Noch wichtiger für diese neue Perspektive auf die Vergangenheit war aber sicher die Entwicklung der Europäischen Union. Durch den Beitritt Österreichs 1995 wurde die Perspektive massiv erweitert. Und beides müssen wir im Zusammenhang mit der Zäsur von 1989 sehen, als der Kalte Krieg und die Spaltung Europas endeten.
Was macht die Monarchie für das aktuelle Europa so interessant?
Auch Europa leidet an einem unterentwickelten Zusammengehörigkeitsgefühl. In so einer Situation sucht man stets in der Geschichte nach Spuren einer gemeinsamen Vergangenheit, nach Anknüpfungspunkten für eine gemeinsame Identität. Die Forschung kann das sehr schön anhand der Nationen nachweisen, die allesamt in der Geschichte nach Urgründen für ihre Entstehung suchten. Genau das Gleiche macht die EU jetzt, allerdings stößt sie dabei auf enorme Schwierigkeiten. Das antike Römische Reich taugt nicht als Vorläufer, auch beim Frankenkönig Karl dem Großen gibt es Probleme. In dieser Situation wird jetzt plötzlich die Habsburgermonarchie interessant, weil es eben auf einer bestimmten Ebene durchaus gewisse Parallelen zur Lage der heutigen Union gibt. So entstehen Versuche, die Monarchie als Versuchslabor für die EU neu zu interpretieren und neu zu bewerten. Trotzdem sollten wir die daraus resultierenden Vergleiche und Analogien mit Vorsicht genießen, weil es zwar Ähnlichkeiten zwischen dieser Vergangenheit und unserer Gegenwart gibt, aber eben auch erhebliche Unterschiede.