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13 Jahre für die Ermordung einer Siebenjährigen

Von Daniel Bischof

Dem nicht rechtskräftigen Urteil ging ein Streit der psychiatrischen Gerichtsgutachter voraus.


Was ging im Kopf des Burschen vor? Was trieb ihn an? Hörte er wirklich Stimmen, gaben diese ihm Befehle? Diese Fragen haben am Mittwoch acht Geschworene des Wiener Straflandesgerichts bei einem Mordprozess zu beantworten.

Und am späten Mittwochabend haben sie sich entschieden: Der 16-Jährige ist schuldig des Mordes. Und damit zurechnungsfähig. Ein Umstand, über den sich die Gutachter im Prozess uneinig waren.

Der 16-Jähriger hat jedenfalls laut Anklage in einem Gemeindebau in Döbling ein siebenjähriges Mädchen getötet. Der Bursche war geständig und gibt an, dass Stimmen ihn zur Tat gedrängt haben.

Die Siebenjährige war am 11. Mai 2018 bei ihm alleine in der Wohnung – nichts Ungewöhnliches, waren doch die Familien der beiden seit Jahren befreundet. Zunächst spielte man auch wie gewohnt miteinander. "Eine Stimme in meinem Kopf hat dann gesagt, dass ich sie würgen soll. Das tat ich auch. Dann habe ich weitere Anweisungen gehört, dass ich sie in die Duschkabine bringen soll, ein Messer holen und zustechen soll", sagt der Bub, der einen abwesenden Eindruck machte. Die Leiche habe er anschließend im Müll entsorgt, meinte er mit brüchiger Stimme. Die Tote wurde am nächsten Tag entdeckt, der Bursche kurze Zeit später festgenommen.

Debatte um Schuldfähigkeit

Bei seiner Erstbefragung war von Stimmen keine Rede gewesen. Damals hatte er erklärt, eine schlechte Woche und aufgestaute Wut gehabt zu haben, jeden hätte es treffen können. Zunächst habe er niemandem von den Stimmen erzählt, da ihm das von den Stimmen befohlen worden sei. "Sie haben gesagt, dass ich niemanden vertrauen darf", erklärte er auf Nachfrage der Richter. Erst später habe er dafür die Erlaubnis von den Stimmen bekommen, sagt er.

Ob er im Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat von den angegebenen Stimmen kontrolliert wurde, war für die Frage der Zurechnungs- und Schuldfähigkeit entscheidend. Denn nur wer das Unrecht seiner Tat erkennt und dieser Einsicht nach frei handeln kann, darf verurteilt werden.

Die zwei psychiatrischen Gerichtsgutachter waren gespaltener Meinung: Peter Hofmann bejahte die Schuldfähigkeit des 16-Jährigen, Werner Gerstl verneint sie. Beide sind sich aber einig, dass der Angeklagte hochgefährlich und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen ist.

Da die Geschworenen der Ansicht von Hofmann folgten, konnte neben der Einweisung der Schuldspruch erfolgen. Die Geschworenen verurteilten den Burschen nun wegen Mordes zu 13 Jahren Haft. Zudem wurde der Schüler in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Nicht rechtskräftig

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidigerin Liane Hirschbrich erbat Bedenkzeit, Staatsanwältin Monika Gansterer gab vorerst keine Erklärung ab.

Die Höchststrafe war, da der Angeklagte unter 21 ist, 15 Jahre Haft. Hätten sie den 16-Jährigen nur für unzurechnungsfähig gehalten, hätte er nur eingewiesen werden dürfen.

Die Unterbringung in der Anstalt erfolgt immer auf unbestimmte Zeit, solange die Gefährlichkeit weiter besteht. Darüber entscheidet ein Psychiater. Bei dem jetzt getroffenen Schuldspruch wird der Betroffene nach der Entlassung aus der Anstalt in die Strafhaft überstellt, wenn noch eine Reststrafe offen ist.

Ein Beispiel: Wurde er etwa zu 15 Jahren Haft verurteilt und nach acht Jahren aus der Anstalt entlassen, muss er die restlichen Jahre im Gefängnis verbringen. Hätte es hingegen keinen Schuldspruch gegeben, käme der Betroffene sofort frei.

Zur Begründung der Schuldfähigkeit führte Hofmann übrigens an, dass der Bursche bis zur Tat "sozial unauffällig gelebt" habe, so Hofmann. Die Familie war mit dem Buben, als er drei war, aus Tschetschenien geflohen. Daraus sei aber keine Belastungsstörung erwachsen. Er habe bei ihm zwar narzisstische Züge und einen Kontroll- und Waschzwang festgestellt. Eine Schizophrenie habe sich zum Tatzeitpunkt aber allenfalls im Vorstadium befunden: "Sie war nicht handlungsbestimmend."

"Er weiß, dass es Unrecht war. Sein Denken war nie so durcheinander, dass er das nicht begriffen hätte", meint Hofmann. Das zeige sich darin, dass der Bursche zielgerichtet und logisch vorgegangen sei: "Er wollte die Spuren von der Tat beseitigen." So habe der Angeklagte das Mädchen gezielt in der Dusche umgebracht und den Tatort gereinigt.

"Bei so furchtbaren Straftaten will man automatisch furchtbare Krankheiten dafür verantwortlich machen. Es gibt aber auch böse Taten, ohne dass eine schwere Schizophrenie dafür verantwortlich ist", sagt der Psychiater.

Das Vollbild der Schizophrenie, unter welchem der Angeklagte nun leide, sei bei dem Burschen erst in der Haft durch die entsprechenden Lebensumstände und den Stress ausgebrochen: Aus dem Umfeld der aus Tschetschenien stammenden Familie des Mordopfers wurde vermutlich ein Kopfgeld auf den 16-Jährigen ausgesetzt. Von Stimmen habe er ihm bei den ersten Befragungen nichts erzählt, erst bei weiteren Untersuchungen seien diese erwähnt worden, so Hofmann.

Anderer Meinung war der Psychiater Gerstl. Eine Stimme habe den 16-Jährigen "blitzartig überfallen" und befohlen: "Pack zu!" Da habe der Bursche "in einem übermäßigen Aggressionsstau diesen ganz schlimmen Mord begangen". Gerstl meint, der Angeklagte habe bereits mit acht oder neun Jahren zu halluzinieren begonnen.