Wien. Sie änderte ihren Namen und ihre Sozialversicherungsnummer, kündigte den Job, zog nach Salzburg und ließ ihre Daten im Melderegister sperren: All das unternahm eine junge Frau, um ihrer tschetschenischstämmigen Familie in Wien zu entkommen. Nicht länger wollte sie sich von ihr kontrollieren, nicht länger vorschreiben lassen, wie sie sich anzuziehen, wie sie zu leben hatte.

Einige Wochen konnte sie untertauchen, doch dann fanden ihre beiden Brüder sie. Am 27. August 2018 warteten sie im Auto auf die 21-Jährige vor ihrer Wohnung im Pinzgau. Als sie ihre Brüder sah, "habe ich sofort Panik bekommen", erzählt sie. Laut Anklage zerrten sie die zwei jungen Männer ins Auto und fuhren sie gegen ihren Willen zurück zur Familie nach Wien. Erst nach gut neun Stunden endete der Spuk: Polizisten der Sondereinheit Wega stürmten die Wohnung und befreiten sie.

Am Mittwoch wurden die Brüder von einem Schöffensenat des Wiener Straflandesgerichts dafür verurteilt. Sie erhielten unter anderem wegen Freiheitsentziehung und schwerer Nötigung 24 Monaten Haft, davon acht Monate unbedingt.

Studium und Nebenjobs

"Ja, alles stimmt", hatte der ältere, 23-jährige Bruder zuvor die Vorwürfe gestanden. "Ich schäme mich so sehr. Ich hätte nie gedacht, dass ich zu so etwas fähig bin", meinte der Mann. "Ich habe mich zum Tatzeitpunkt bei ihr entschuldigt", erklärte sein 19-jähriger Bruder, der ebenfalls geständig ist. "Warum machen Sie das dann?", fragte die vorsitzende Richterin Daniela Zwangsleitner. "Weil man seine Schwester zurückhaben will", antwortete er. "Da gehören aber immer zwei dazu", so die Richterin. Mehr wollten die beiden Brüder nicht sagen, da sie "zu nervös" seien.

Die Männer sind österreichische Staatsbürger mit tschetschenischen Wurzeln. Beide sprechen gut Deutsch und sind bisher unbescholten. Der 23-Jährige studiert an der WU Betriebswirtschaft, der 19-jährige befindet sich im Maturajahr. Mit Nebenjobs verdienen sie ihr Geld. Die 21-jährige Schwester wurde jedoch von der Familie eingeengt. Sie musste Röcke tragen, die ihre Knie bedeckten, die Mutter kontrollierte ihr Handy auf Männerbekanntschaften. Im Mai 2018 wehrte sich die Frau gegen eine solche Kontrolle, woraufhin sie der ältere Bruder schlug, wie er vor Gericht gestand.

Die Frau kam mit einem Österreicher zusammen. Sie ahnte, dass die Familie ihn nicht als ihren Freund akzeptieren würde. Sie beschloss daher, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und einen Neustart mit ihrem Freund im Pinzgau zu wagen. Sie flüchtete und hinterließ der Familie einen Brief, in dem sie schrieb, vergewaltigt worden zu sein.