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18 Monate Haft für tobenden Raser

Von Daniel Bischof

Erst am frühen Morgen konnte der Raser von Polizisten gestoppt werden.
© lassedesignen/ stock.adobe.com

Er zertrümmerte sein Hotelzimmer, stahl ein Auto und gaste zu einer Zerstörungsfahrt an: die Geschichte einer Eskalation.


Wien. Herr G. hat ein Lieblingswort: korrekt. Immer wieder sagt er es an diesem Freitagvormittag in Saal 310 des Wiener Straflandesgerichts. Ob er dies und jenes gemacht habe, fragt die Richterin, das ist korrekt, antwortet G.; ob dann dies und das geschehen sei, will sie wissen, korrekt, sagt G.

Korrekt, korrekt, korrekt, schießt es aus seinem Mund, so wie überhaupt alles an diesem jungen Mann korrekt zu sein scheint. Höflich und präzise beantwortet er alle Fragen, kontrolliert sitzt er, in seinen dunkelblauen Anzug gekleidet, vor der Richterin. Der große, hagere Mann mit der schmalen Brille, er wirkt wie die Ruhe in Person.

Doch so stoisch sich der 19-Jährige auch gibt - explodiert er einmal, ist er zu verheerenden Taten fähig. Am 5. April zertrümmerte er ein Hotelzimmer, entwendete ein Auto und gaste zu einer Zerstörungsfahrt an, wobei er beinahe Menschen überfuhr. Polizisten, die ihn verfolgten und letztlich stoppen konnten, trugen schwere Verletzungen davon. Ein Beamter war nach dem Einsatz 68 Tage nicht mehr dienstfähig.

Familiäre Probleme

Die Tatbestände, wegen denen G. am Freitag am Wiener Straflandesgericht rechtskräftig zu 18 Monaten Haft, davon sechs Monate unbedingt, verurteilt wird, lesen sich wie ein Streifzug durch das Strafgesetzbuch: Betrug, vorsätzliche Gemeingefährdung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, (schwere) Körperverletzung, (schwere) Sachbeschädigung, Gefährdung der körperlichen Sicherheit, Diebstahl, Einbruchsdiebstahl. "Das steht im völligen Gegensatz zu seinem bisherigen Leben", sagt sein Verteidiger Andreas Rechenbach.

Seinen Ausgang hatte alles mit einem Hotelaufenthalt genommen. Ende März war der 19-Jährige in die Unterkunft in Niederösterreich gezogen. Er habe sonst keine andere Möglichkeit gehabt, sagt G. Der sonst so präzise sprechende Mann ringt nach Worten. Sein Stiefvater, ein Alkoholiker, habe ihn immer wieder geschlagen, zunächst sei er daher zu den Großeltern gezogen. Aber auch dort sei die Stimmung "negativ" und "problematisch" gewesen, weshalb er ins Hotel gezogen sei. Das Geld für die Übernachtungen hatte er nicht, wie G. zugibt: Der gelernte Tischler war seit Monaten arbeitslos.

"Ich war auf 180"

G. lud eine Bekannte zu sich ein, sie übernachtete bei ihm. Er verliebte sich in sie und überhäufte sie mit Geschenken. Um das Geld dafür aufzutreiben, verkaufte er seine wenigen Wertgegenstände - darunter eine Spielekonsole und gebrauchte Handys. "Nach dem Einkauf ist sie mit der Sprache rausgerückt", erzählt der junge Österreicher. Sie habe mit seinem besten Freund geschlafen und sei von dem Mann schwanger, habe sie ihm erzählt. "Frustsaufen" sei seine Reaktion darauf gewesen.

"Am nächsten Abend ist das Fass aber übergelaufen", erklärt er. Plötzlich habe er einen Anruf von einem Unbekannten erhalten. Es stellte sich heraus, dass es sich um den Verlobten der jungen Frau handelte. Der in Deutschland lebende Mann wunderte sich, warum seine Verlobte bei G. im Hotel übernachtete.

"Ich war auf 180. Ich habe mich gefühlt wie ein Kaugummi. Wenn er schmeckt, ist er gut, wenn man ihn nicht mehr braucht, haut man ihn weg", schildert er. Im Hotelzimmer schmiss er sein Handy gegen den Fernseher, zog Kabel aus den Wänden und riss die Duschvorhänge hinunter.

Ob er denn Probleme mit seinen Aggressionen habe, will Richterin Alexandra Skrdla wissen. Ja, habe er, das sei korrekt, meint G. Er sei auch in psychiatrischer Behandlung gewesen, richte seine Aggression aber nur gegen Gegenstände: "Körperlich gehe ich nie jemanden an."

Im Zuge der Streits wünschte sich seine Bekannte, nach Deutschland gebracht zu werden, sagt G. "Scheiß drauf", habe er sich gedacht, "diesen letzten Gefallen mache ich ihr", sie solle dann schon schauen, wie sie alleine in Deutschland zurechtkomme.

"Da bin ich aufs Gas getreten"

G. stahl Geld vom Hotel und entwendete ein fremdes Auto, das in der Umgebung parkte. Der Kofferraum eines Audi stand leicht offen, G. kletterte nach vorne, wo er im Handschuhfach die Autoschlüssel fand. Anfangs sei er "normal" gefahren, meint G., der keinen Führerschein hat. Doch habe seine Bekannte ständig mit ihrem Verlobten telefoniert. "Da bin ich aufs Gas getreten", schildert der 19-Jährige. Mit bis zu 250 km/h raste er über die Autobahn in Richtung Wien, beinahe überfuhr er, im Stadtgebiet angekommen, einen Mann. "Ich hätte fast ein Menschenleben auf dem Gewissen gehabt."

Die Polizei nahm die Verfolgung auf, doch G. raste weiter und rammte den Polizeiwagen. Erst als der demolierte Audi in den frühen Morgenstunden allmählich den Geist aufgab und er erneut gegen ein Polizeiauto krachte, fand seine Wahnsinnsfahrt ihr Ende. Mehrere Polizisten wurden bei dem Einsatz verletzt, sie konnten teils wochenlang nicht mehr arbeiten. G. wurde festgenommen, seit knapp drei Monaten sitzt er in Untersuchungshaft.

Seine Bekannte kann vor Gericht nicht befragt. Knapp vor Verhandlungsbeginn ließ sie sich entschuldigen: Sie habe die Termine verwechselt und könne nicht bei Gericht erscheinen, da sie kein Geld für die öffentlichen Verkehrsmittel habe. Die Prozessbeteiligten verzichten einvernehmlich auf ihre Einvernahme.

"Man ist jung, man ist dumm"

"Wie soll es jetzt weitergehen?", fragt Richterin Skrdla. Er wolle schnell eine Arbeit finden, um den Schaden zu ersetzen, beteuert G. Er legt die schriftliche Bestätigung eines Tischlers vor, der zusichert, den 19-Jährigen nach seiner Haftstrafe beschäftigen.

G. erkennt sämtliche Forderungen der Geschädigten an und entschuldigt sich bei den Opfern. Der Eigentümer des Audis, der im Saal anwesend ist, nimmt die Entschuldigung prompt an. "Man ist jung, man ist dumm", sagt er, um hinzuzufügen: "Aber da ist schon einiges zusammengekommen."

Dem Mann werden 2600 Euro zugesprochen, den verletzten Polizisten insgesamt 7030 Euro. Zusätzlich werden eine Psychotherapie und Bewährungshilfe für G. angeordnet. Die nächsten Monate wird G. aber noch in Haft sitzen, sechs Monate der 18-monatigen Freiheitsstrafe werden unbedingt ausgesprochen. Als erschwerend wird das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen gewertet, als mildernd seine bisherige Unbescholtenheit, das Alter unter 21 Jahren, das reumütige Geständnis, seine Impulsstörung und die emotionale Ausnahmesituation.