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Mann vor U-Bahn gestoßen: Einweisung in Anstalt

Von Daniel Bischof

Psychisch Kranker schubste Opfer vor einfahrenden Zug. Der Mann überlebte mit schweren Verletzungen.


Wien. Der Stoß kam aus dem Nichts. Gerade noch hatte Herr I. auf sein Handy geschaut, langsam war er am Westbahnhof Richtung U-Bahngleis gegangen, als er den einfahrenden Zug sah. Plötzlich spürte I. Hände, die sich von hinten an ihn pressten, "ich dachte noch, das ist ein Freund, der mich erschrecken will". Doch innerhalb weniger Sekunden lag I. an diesem 8. Mai 2019 auf den Gleisen, den Zug auf sich zurollen sehend.

Am Montag sitzt Herr I. als Zeuge im Saal 106 des Wiener Straflandesgerichts. Er hat überlebt, aufgrund der schweren Verletzungen musste ihm jedoch sein rechter Fuß amputiert werden. Der 20-jährige Mann, der ihn geschubst hat, hat auf einer Bank Platz genommen, kaum zwei Meter von ihm entfernt. Der psychisch kranke Mann wird am Montag in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig.

Cannabis und Wahnvorstellungen

Der Fall zeige auf, wie sich eine psychische Erkrankung aufbauen und wie schwierig der Umgang mit krankheitsuneinsichtigen Betroffenen sein könne, sagt die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter. Sie hat den schizophrenen Mann begutachtet - und schildert ausführlich seine Krankengeschichte.

Der junge Mann war 2015 aus dem Irak nach Österreich geflüchtet, seine Familie erhielt Asyl. Er war unauffällig, ging zur Schule, besuchte Deutschkurse. Doch rund ein Jahr vor der Tat habe er angefangen, "Stimmen zu hören", schildert er. Gegen Menschen, die eine Sonnenbrille und Kopfhörer trugen, entwickelte er eine Abneigung. Gegenüber der Polizei gab er an, dass die Menschen über "die Kopfhörer hören können, was ich zu Hause mache". Von Menschen, die lauter durch die Nase atmeten, fühlte er sich verspottet.

Inwiefern die Wahnvorstellungen durch den Cannabiskonsum des Mannes ausgelöst oder verstärkt wurden, lässt sich laut Wörgötter nicht feststellen. Man wisse grundsätzlich aber, "dass Cannabis und Drogen eine Psychose auslösen können".

Der Zustand des Mannes verschlechterte sich, im November 2018 wurde er zwei Mal im Otto-Wagner-Spital untergebracht. Die Ärzte beschrieben ihn als "hoch psychotisch". Die Unterbringung wurde seitens eines Gutachters des zuständigen Gerichts aber aufgehoben, da keine Selbst- oder Fremdgefährdung bestehe. Zwangsweise festgehalten konnte er dadurch nicht werden, eine freiwillige Behandlung verweigerte der krankheitsuneinsichtige Mann.

Er suchte zwar einen Facharzt für Psychiatrie auf, der ihm eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostizierte. Der Betroffene zeigte sich aber auch weiterhin nicht kooperativ, ein Umstand, der laut Wörgötter Teil des Krankheitsbildes ist. Eine deutliche Besserung zeigt sich erst, seitdem er in U-Haft ist. Dort wird ihm zwangsweise eine Depotspritze mit den notwendigen Medikamenten verabreicht.

Am 8. Mai 2019 war der Mann auf dem Weg ins Fitnessstudio. Beim U-Bahngleis nahm er das spätere Opfer wahr, das eine Sonnenbrille und Kopfhörer trug. Er wisse nicht mehr, warum er den Mann hinuntergestoßen habe, gibt er vor Gericht an: "Ich konnte mich nicht kontrollieren, das war nicht ich." Gegenüber der Polizei hatte er erklärt, dass der Mann laut Luft durch die Nase eingezogen habe, "und so hat er gezeigt, dass er gewusst hat, dass ich zu Hause geweint habe".

Das Überwachungsvideo zeigt, dass der 20-Jährige das Opfer unmittelbar, bevor der Zug herannaht, auf die Gleise stieß. Noch fatalere Folgen konnten wohl nur verhindert werden, da die Tat sich an der vordersten Spitze des Bahngleises in Fahrtrichtung ereignete und der Zug daher nur mehr mit einer stark eingeschränkten Geschwindigkeit unterwegs war.

"Es gibt Hoch und Tiefs", beschreibt I. seinen Zustand seit der Tat. Der Mann ist auf einen Rollstuhl angewiesen, derzeit befindet er sich in Rehabilitation. Die Schmerzen seien überschaubar, er habe jedoch mit den psychischen Folgen zu kämpfen. Daher befindet er sich nun in Therapie.

TränenreicheEntschuldigung

"Darf ich was sagen?", mischt sich der 20-Jährige ein. "Er möchte sich entschuldigen. Legen Sie Wert darauf?", fragt Andreas Hautz, der vorsitzende Richter, das Opfer. Der Mann steht mühevoll vom Sitz auf, bereit, die Entschuldigung zu akzeptieren, woraufhin der 20-Jährige ihn umarmt und unter Tränen um Vergebung bittet.

Laut Wörgötter litt der 20-Jährige während des Tatzeitpunktes unter einer akuten Psychose, daher sei er zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig und nicht schuldfähig gewesen. Aufgrund der Tat und der Gefährlichkeit des Mannes empfiehlt sie dessen Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Die Geschworenen folgen dieser Empfehlung. Ihre Entscheidung fällt einstimmig aus.

Wer zum Tatzeitpunkt unzurechnungsfähig ist, handelt nicht schuldhaft - und kann daher nicht bestraft werden. In einem solchen Fall ist aber die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher möglich (§ 21 Abs 1 Strafgesetzbuch). Zwei Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein. Einerseits muss der Rechtsbrecher eine entsprechende Anlasstat begangen haben. Dazu zählen Taten, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht werden.

Andererseits muss eine Gefährlichkeitsprognose bestehen, dass der Rechtsbrecher eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen könnte. Die Unterbringung erfolgt auf unbestimmte Zeit. Sie dauert an, solange die besondere Gefährlichkeit weiter besteht.

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