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Mordprozess: "Es war Sterbehilfe"

Von Daniel Bischof

Eine Frau entfernte lebenserhaltende Schläuche von ihrem todkranken Partner.


Wien. War es Sterbehilfe, ein würdevoller Tod, ein Mord, eine Tötung auf Verlangen? Diverse Begriffe schwirren am Mittwoch im Wiener Straflandesgericht umher, um einen Vorfall zu beschreiben, der sich am 6. April 2018 im AKH zugetragen hat: Frau E. riss ihrem 70-jährigen Lebensgefährten, der sich im künstlichen Tiefschlag befand und nur noch wenige Stunden zu leben hatte, die lebenserhaltenden Schläuche vom Körper.

Für die Staatsanwaltschaft Wien ist klar: Das war ein Mord. Ein "außergewöhnlicher Mord", wie Staatsanwalt Martin Ortner ausführt. Es handle sich keineswegs um einen Mord, sondern um eine Tötung auf Verlangen, kontert Verteidiger Gunter Gahleitner. Denn der Lebensgefährte habe Frau E. gebeten, in Würde sterben zu können: "Sie hat dem Wunsch ihres geliebten Mannes entsprochen." Ob sie der Mordanklage oder der Auslegung des Verteidigers folgen, darüber haben nun acht Geschworene zu entscheiden.

Gesundheitliche Probleme

Die 53-jährige E. und der Mann waren seit 2011 ein Paar. Seine Gesundheit war seit längerem belastet. Zwei Herzinfarkte überlebte er, er litt an einer Lungenfunktionsstörung und hatte bereits eine Nierentransplantation. Zudem saß er zuletzt im Rollstuhl. Im März 2018 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand aufgrund einer Lungenentzündung. Er kam ins AKH, Anfang April wurde er in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt.

Am 6. April kontaktierte eine Ärztin Frau E. Sie teilte ihr mit, dass der Mann im Sterben liegt. Die Frau begab sich ins Spital und trank unterdessen immer wieder Wodka. Auf der Station klärte sie die Ärztin nochmals über den dramatischen Zustand des Mannes auf. "Bleib auf, bleib wach, geh nicht!", schrie sie. Als sie unbeaufsichtigt bei ihrem Partner im Zimmer war, riss sie die lebenserhaltende Intubation und den zentralen Dialysekatheter - die Schläuche waren teils in der Haut des Mannes eingenäht - von seinem Körper weg, auch die Magensonde entfernte sie. Um das zu bewerkstelligen, war laut Gutachtern einiges an Gewalt nötig.

Als der Alarm ertönte, spritzte Blut aus den Wunden des Mannes. E. hielt den Sterbenden in einem Arm, den Dialysekatheter in der anderen Hand. Er starb fünf Minuten später an einem Herz-Kreislaufversagen. E. flüchtete, sie wurde in ihrer Wohnung festgenommen.

"Ich habe Sterbehilfe geleistet", sagt sie vor Gericht. Jahrelang habe sie ihr Partner immer wieder gebeten, dass sie ihm im Fall des Falls Sterbehilfe leiste, damit er in Würde sterben könne. Sie habe ihm versprochen, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Ende März 2018, als er noch ansprechbar war, habe er im Spital zu ihr gesagt: "Ich glaube, ich schaffe es dieses Mal nicht mehr. Ich springe auf die Medikamente nicht an." Er habe sie auch erinnert: "Es geht zu Ende, bitte denk daran, was du versprochen hast."

Am 6. April habe sie Wodka konsumiert, um "herunterzukommen" und sich Mut anzutrinken. Laut einem Gutachter hatte sie bei der Tat bis zu 1,8 Promille im Blut, sie war aber nicht in einem Zustand "voller Berauschung", der strafrechtlich relevant wäre. Als sie ihren Partner dann im Zimmer antraf, "habe ich den Anblick nicht mehr ertragen können". Auch im Wissen um die Konsequenzen würde sie heute auf die gleiche Weise handeln.

Rechtlich stellt sich nun die Frage, ob es sich dabei um eine Tötung auf Verlangen handelt (§ 77 Strafgesetzbuch). Sie stellt eine privilegierte Form der vorsätzlichen Tötung dar und wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Bei einem Mord drohen hingegen zehn bis zwanzig Jahre oder eine lebenslange Haft. Das Verlangen des Opfers muss dabei frei und ernstlich sein, also seinem wahren und unbeeinflussten Willen entsprechen.

Staatsanwalt Ortner hält es für "unglaubwürdig", dass sich das Opfer gewünscht habe, dass unter diesen Umständen und auf diese Weise Sterbehilfe geleistet werde. Zudem habe Frau E. im Lauf der Ermittlungen immer wieder unterschiedliche Angaben gemacht und erst nach und nach angegeben, dass sich der Mann Sterbehilfe gewünscht habe.

"Schlimmste Zeit war danach"

Ob sie den Sterbeprozess des Mannes verkürzen habe wollen, damit sie nicht länger zuschauen müsse, fragt die vorsitzende Richterin Christina Salzborn. Denn der Mann sei bereits friedlich im Sterben gelegen. "Nein, weil die schlimmste Zeit war nicht im AKH, sondern danach, als ich wusste, dass ich ihn nicht mehr habe", antwortet die Angeklagte.

Ein Einspruch, den ihr Verteidiger gegen die Anklageschrift wegen Mordes eingebracht hatte, wurde im Vorfeld vom Oberlandesgericht Wien bereits abgewiesen. Sollten die Geschworenen E. wegen Mordes verurteilen, könnte aber eine außerordentliche Strafmilderung bei Überwiegen der Milderungsgründe (§ 41 StGB) in Betracht kommen. Darauf macht Ortner in seinem Plädoyer ausdrücklich aufmerksam. Sie ist bei außergewöhnlichen Fällen möglich und setzt die Untergrenze des Strafrahmens drastisch hinunter. Bei einem Mord wird die Untergrenze etwa auf eine einjährige Freiheitsstrafe hinuntergestuft.

Ein Urteil gibt es am Mittwoch aber noch nicht. Es wird wohl bei der nächsten Verhandlung am 22. Oktober fallen.