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Renoir-Prozess: Mildes Urteil für Angeklagten

Von Daniel Bischof

Mann fasst 24 Monate, davon acht Monate unbedingt, aus. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.


Wien. Was er denn beruflich mache, fragt Richter Mario Bandarra den Angeklagten. Er sei "Freelancer", antwortet der 60-jährige Herr H. Bandarra blickt in seine Unterlagen. "Selbständiger Antiquitätenhändler" stehe dort. "Trifft es das?", will er wissen. "Ja", meint der Angeklagte.

Die Staatsanwaltschaft Wien ist da anderer Meinung: Sie hält Herrn H. für einen Kunstdieb. Am 26. November soll er mit zwei Komplizen ein Renoir-Gemälde mit einem Schätzwert zwischen 120.000 und 160.000 Euro aus dem Wiener Dorotheum gestohlen haben. Am Donnerstag wird er von einem Schöffensenat des Wiener Straflandesgerichts wegen schweren Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung verurteilt.

Die Strafe fällt mild aus. Von der 24-monatigen Haftstrafe werden acht Monate unbedingt ausgesprochen. Der Strafrahmen für die Vorwürfe beträgt bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Weil H. seit Anfang Dezember in Untersuchungshaft sitzt, wurde er sofort nach der Urteilsverkündung auf freien Fuß gesetzt. Der Ukrainer muss der Versicherung zudem 120.000 Euro bezahlen, um den Schaden wiedergutzumachen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Während der Angeklagte die Strafe annahm, kündigte die Staatsanwaltschaft Berufung an.

"Krankhafte Fantasy"

H. bekennt sich zu Verhandlungsbeginn nicht schuldig, die Vorwürfe hält er für die "krankhafte Fantasy eines Anklägers". Während seiner Einvernahme greift er nach der Anklageschrift, die vor ihm auf dem Tisch liegt, und wedelt sie in der Luft herum: "Anhand von Lügen kann man niemanden belasten!", schimpft er. Laut Staatsanwaltschaft Wien soll der 60-Jährige den Coup federführend organisiert haben. Am 23. November 2018 flog der Ukrainer mit dem Flugzeug aus Moskau nach Wien. Einen Tag später trafen seine zwei Landsmänner ein. Am 26. November gingen die drei um 17.15 Uhr ins Dorotheum, um sich das Gemälde anzusehen.

Sie gingen zu dem ausgestellten Werk von Pierre August Renoir, das zwei Tage später bei einer Auktion versteigert werden sollte. Auf den Videos ist zu sehen, dass der Angeklagte von einem Nebensaal den Raum überblickte. Seine zwei Landsmänner nahmen das Werk unterdessen aus dem Rahmen und steckten es in ein Einkaufssackerl. H zeigte den Personen, wohin sie fliehen sollten. Danach verließen sie unbehelligt das Gebäude.

Dank der Überwachungskameras und der Auswertung der Rufdaten und Ausreisdaten konnte zwei Verdächtige ausfindig gemacht werden. Herr H. wurde am 8. Dezember in Amsterdam gefasst. Einer seiner Landsleute wurde im Frühjahr in der Ukraine verhaftet, er sitzt dort wegen Mordverdachts in Haft. Vom dritten Mann und dem Gemälde fehlt weiterhin jede Spur.

Herr H. erklärt, er sei nach Wien gekommen, um Frauen kennenzulernen. Einer der zwei Männer vermittle nämlich EU-Frauen an ukrainische Männer. Zudem habe ihn eine Auktion in Wien interessiert.

"In die Scheiße geritten"

Er selbst habe gar nicht ins Dorotheum gehen wollen, er sei nur seinen beiden Bekannten gefolgt, als diese hineinspaziert seien, gibt H. an. "Plötzlich habe ich einen Lärm gehört." Dann habe er gesehen, dass die Bekannte mit dem Bild aus dem Auktionshaus verschwinden: "Die haben mich in die Scheiße geritten", empört er sich. Warum er denn nicht die Polizei gerufen haben, wenn er nichts damit zu tun habe, fragt Richter Bandarra. "Die Polizei zu rufen, widerspricht meinen moralischen Prinzipien", sagt H.

Der Angeklagte könnte auch in anderen Ländern zugeschlagen haben: In Frankreich wird wegen vierfachen Kunstdiebstahles gegen ihn ermittelt. So soll er aus Aktionshäusern in Saint-Germain ein Renoir-Gemälde und in Paris ein Buch gestohlen haben. Österreichische Ermittler legten Herrn H. Bilder vor, die Kameras in den Auktionshäusern von dem Täter aufgenommen hatten. Zunächst gab H. noch an, dass es sich bei der Person um ihn handle. Als ihm die Ermittler jedoch erklärten, dass diese Personen einen Diebstahl begangen habe, meinte H., er sei sich doch nicht mehr sicher, ob er das wirklich sei.