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Messerattacke nach Marienerscheinung

Von Daniel Bischof

Einweisung für 33-Jährigen, der seinen behandelnden Arzt im SMZ Süd niedergestochen hat.


Zeugen beschreiben ihn als ruhig, unauffällig, und selbst bei seiner Messerattacke im SMZ Süd zeigte Herr J. keine große Aufregung. Kaum hatte er am 10. Juli seinem behandelnden Arzt am Gang in den Bauch gestochen, nahm er im Warteraum Platz. Mit den Worten "Gut, gut" versuchte er die schockierten Patienten zu beruhigen, widerstandslos ließ er sich festnehmen. Der Arzt überlebte dank einer Notoperation. Zu einem Streit zwischen den beiden war es nicht gekommen, der Mediziner hatte J. jahrelang gut betreut. "Das ist ein guter Mann, ein guter Mensch", sagt J. über den Arzt.

Mit dieser rätselhaften Messerattacke beschäftigt sich am Mittwoch ein Geschworenengericht am Wiener Straflandesgericht. Es weist den 33-jährigen J. in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

"Das ist ein schwer zu beurteilender Fall", räumt die Gerichtspsychiaterin Sigrid Rossmanith ein. Drei Mal hat sie den 33-Jährigen begutachtet. Ihr Ergebnis: J. leidet unter einer paranoiden wahnhaften Störung, aufgrund derer er zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig war; seine Krankheit und eine Verkettung ungünstiger Umstände haben zu der plötzlichen, beinahe tödlichen Attacke geführt.

"Er war absolut nie aggressiv"

Der aus Sierra Leone stammende J. leidet an Herzproblemen. Nach einem Herzstillstand wurde ihm 2011 im SMZ Süd ein Herzschrittmacher eingesetzt. Halbjährig wurde er von seinem späteren Opfer kontrolliert. Bei diesen Aufeinandertreffen sei J. "absolut nie aggressiv" gewesen und ihm auch nie aufgefallen, schildert der Arzt im Zeugenstand. Zwar habe J. sich immer sehr ruhig verhalten, er habe das aber auf die Sprachbarriere - die beiden hatten sich in einer Mischung aus Deutsch und Englisch verständigt - zurückgeführt.

So verging Jahr um Jahr - bis zum 11. Mai 2019. An diesem Tag habe er in der Brust drei Schocks gespürt, daher sei er wieder einmal ins SMZ Süd gefahren, sagt der 33-Jährige. Erneut wurde er vom Arzt kontrolliert. Alles sei in Ordnung und unauffällig gewesen, der Herzschrittmacher habe mit den Schocks den Herzschritt korrigiert - ein üblicher Vorgang, erklärt der Mediziner.

Doch J. war mit dieser Routineuntersuchung nicht zufrieden. "Er war nicht wie sonst", beklagt er sich über den Arzt. Er sei falsch behandelt worden, seine E-Card habe man ihm vorenthalten, behauptet er. Auch sei er im Sitzen behandelt worden, bei den anderen Untersuchungen aber sei er immer gelegen, sagt J.

Stich in den Oberbauch

Zwei weitere Monate verstrichen. Am 10. Juli befand sich J. auf dem Weg zum AMS, um seinen Betreuer zu treffen. Doch erschien ihm im Stiegenhaus die Heilige Maria, gibt er an. Diese habe zu ihm gesagt: "Mein Sohn, wegen deiner Probleme musst du ihn entfernen." Sie habe sich auf den behandelnden Arzt bezogen. Was genau sie mit "entfernen" gemeint habe, wisse er nicht. Auch könne er sich nicht mehr an die Geschehnisse nach der Marienerscheinung erinnern, erklärt er.

Fest steht, dass sich J. mit einem Küchenmesser ins SMZ Süd begab und im Wartebereich dem Arzt auflauerte. Als der Mediziner den Gang entlang kam, erhob sich J. und stach ihm wortlos in den Oberbauch.

"Ich habe ein Messer gesehen und huh, ich habe es schon drinnen gehabt", schildert der Arzt den Angriff. Er konnte flüchten und zurück in den Behandlungsraum laufen, aus dem er gekommen war. "Gott sei Dank hat er nicht nachgesetzt", sagt der Arzt.

Laut Psychiaterin Rossmanith ist J. aufgrund seiner wahnhaften Störung unberechenbar, seine Wahrnehmungs- und Affektkultur ist massiv beeinflusst. Daher habe J. - für gesunde Menschen - natürlichste Dinge als feindlich gegen seine Person interpretiert. So etwa bei der Kontrolle im Mai. Möglicherweise habe ihn der Arzt damals wegen Zeitdrucks schneller behandelt, J. habe das aber sofort als falsche und unzureichende Behandlung gesehen, so Rossmanith.

Urteil rechtskräftig

Der psychisch Kranke fühle sich durch sein Herzleiden "existenziell bedroht". Hinzu komme, dass der anstehende Besuch beim AMS zusätzlichen Druck auf ihn erzeugt habe. In einer solchen Situation könne es bei einer wahnhaften Störung zu einem "plötzlichen Höhepunkt" kommen.

Bezüglich seiner künftigen Behandlung sieht die Psychiaterin Probleme: Derzeit steht der Mann bereits unter einer hohen Medikation, bei der Dosis müsse man jedoch sehr aufpassen, da sie den Zustand seines Herzens beeinflusse.

Weil J. laut Rossmanith - er steht im Gefängnis unter strenger Beobachtung - gefährlich ist, beantragt die Staatsanwaltschaft Wien seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Nach einer kurzen Beratung leisten die Geschworenen dem Ersuchen Folge. Die Entscheidung ist bereits rechtskräftig, der 33-Jährige verzichtet auf Rechtsmittel.

Wissen~ Wer zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig ist, handelt nicht schuldhaft und kann nicht bestraft werden. Er kann aber in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen werden(§ 21 Abs 1 StGB). Einerseits muss der Rechtsbrecher eine Anlasstat begangen haben. Dazu zählen Delikte, die mit einer ein Jahr übersteigenden Haftstrafe bestraft werden können. Andererseits muss eine Gefährlichkeitsprognose bestehen, dass der Rechtsbrecher eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen könnte. Die Unterbringung erfolgt auf unbestimmte Zeit. Sie dauert an, solange die besondere Gefährlichkeit weiter besteht.