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Anschlag auf Züge: "Wollte etwas Positives erreichen"

Von Daniel Bischof

Ehepaar soll versucht haben, ICE-Züge in Deutschland zum Entgleisen zu bringen. Prozessauftakt in Wien.


Er reiste nach Frankreich und Deutschland, um Bahnstrecken auszuspähen. Im Internet las er sich ein Fachwissen über Schienen und Züge an. Auf seinem Bildschirm prangte als Hintergrundbild ein ICE-Zug. Und selbst während seiner U-Bahn-Fahrten widmete sich Herr A. seiner Obsession: In Handyspielen wurde er zum Lokführer und düste mit Zügen umher.

Hinter dieser Obsession stecken laut Staatsanwaltschaft Wien mörderische Pläne. A. soll zwischen Jänner und Dezember 2018 vier Mal versucht haben, ICE-Züge in Deutschland entgleisen zu lassen. Die Anklagebehörde wirft dem mutmaßlichen IS-Sympathisanten A. und seiner Ehefrau versuchten Mord und schwere Sachbeschädigung als terroristische Straftat und das Verbrechen der terroristischen Vereinigung vor. Am Dienstag startete am Wiener Straflandesgericht der Prozess gegen die Angeklagten.

Zur schweren Sachbeschädigung bekennt A. sich schuldig, die anderen Vorwürfe weist er zurück. "Was ich gemacht habe, ist ein großer Fehler gewesen", sagte der 44-jährige Mann. Extremistische Ziele will er mit seinen Sabotageakten aber nicht verfolgt haben. Stattdessen porträtiert A. sich als politischer Aktivist, der nur Aufmerksamkeit bekommen wollte.

"Eine unauffällige Familie"

A. stammt aus dem Irak. Dort sei er politisch verfolgt worden, sagte er. 2012 kam er nach Österreich, im Jänner 2013 wurde ihm der Flüchtlingsstatus zuerkannt. Im Rahmen einer Familienzusammenführung holte er seine Ehefrau nach. Das Paar lebte mit seinen vier Kindern in Simmering, A. arbeitete als Security und bei einer Supermarkt-Kette.

"Es war eine sehr unauffällige Familie", sagte Staatsanwalt Markus Berghammer. Das sei aber nur eine Fassade gewesen. Denn hinter der Oberfläche verstecke sich die Weltanschauung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Bereits bei der Einreise nach Österreich soll A. Kontakt zum IS gehalten haben. Er hat laut Anklage mit einem Iraker kommuniziert, der 2017 in der Schweiz als Kopf einer IS-Zelle verurteilt wurde. Vor allem über die IS-Propaganda im Internet habe sich A. immer mehr radikalisiert, sagte Berghammer. Schließlich habe sich der 44-Jährige entschlossen, Anschläge auf Passagierzüge zu verüben, um den "größtmöglichen Schaden zu verursachen".

Die Ziele habe A. nicht zufällig ausgewählt, sagte Berghammer. Der IS empfehle Passagierzüge als Anschlagsziel und gebe Anleitungen, wie man sie entgleisen lassen könne. Laut Ankläger plante A. seine Anschläge von Wien aus und kaufte in Baumärkten die Tatwerkzeuge ein.

Die Ehefrau soll von den Anschlägen gewusst und A. unterstützt haben. Laut Anklage wurden ihre DNS-Spuren auf den Tatobjekten gefunden. Die Frau bestreitet ihre Beteiligung und bekennt sich nicht schuldig. Laut ihrer Verteidigerin Astrid Wagner war sie ein Opfer des Patriarchats: "Sie hat gelernt, dass man sich als Frau dem Mann unterzuordnen und keine Fragen zu stellen hat." Wagner verwies auch auf den Fall Josef Fritzl: Dessen Frau habe jahrzehntelang nichts von den Verbrechen mitbekommen.

Vier Anschlagsversuche

Zurück zu A.: Er reiste nach Frankreich, bei Marseille spähte er Strecken aus. Laut eigenen Angaben ließ A. aber von Frankreich als Ziel ab, da er sich dort bei Fahrten hätte identifizieren müssen. Stattdessen wählte er Strecken in Deutschland aus.

Am 25. Jänner 2018 befestigte er auf Bahngleisen nahe Nürnberg zwei Holzkeile mit Ketten und Metallteilen. A. hinterließ eine Speicherkarte mit einer Rede eines hochrangigen IS-Mitglieds. Der Zug entgleiste aber nicht, die Keile waren zu kurz, auch hatte er zu wenige davon befestigt.

Enttäuscht, aber weiter von der Idee eines Anschlags besessen, sei A. zur nächsten Aktion geschritten, so der Ankläger. Obwohl er am 19. August vier statt zwei Keile befestigte, rammte der Zug diese erneut ohne gröbere Folgen weg. In einem Schreiben, das er bei der Strecke platzierte, drohte er mit weiteren Anschlägen auf Züge in Europa.

Es folgten zwei weitere Attacken, wobei er statt der Keile auf Stahlseile setzte. Diese befestigte er an Oberleitungsmasten und spannte sie quer über die Gleise. Am 7. Oktober 2018 kollidierte nahe Nürnberg ein Zug damit, es blieb bei Schäden an der Frontschreibe. Ähnlich ging er im Dezember 2018 bei einer S-Bahn-Station in Berlin vor, auch hier gab es keinen schweren Unfall.

Ertappt durch Fingerabdruck

A. gab zu, die Anschläge verübt zu haben. Er sei aber nie der Plan gewesen, Züge entgleisen zu lassen: "Ich wollte niemandem schaden, sondern politische Gedanken fördern." Er sei über die Lage im Irak und den Einfluss des Iran über das Land frustriert gewesen. Mit seinen Aktionen habe er erreichen wollen, dass europäische Staaten wie Deutschland ihre Soldaten aus dem Irak abziehen, sagte der Angeklagte. Statt Terror zu schüren, habe er "etwas Positives erreichen wollen".

Im Zuge der Ermittlungen wurde bei A. IS-Propagandamaterial sichergestellt, darunter etwa Videos von Hinrichtungen. Vor Gericht bestritt der 44-Jährige aber, mit dem IS zu sympathisieren.

Die Bekennerschreiben des IS habe sein Mandant nur hinterlassen, "um eine größere Wirkung zu erzeugen", sagte sein Verteidiger Wolfgang Langeder. A. wäre "niemals darauf gekommen, Menschen zu töten". Die Versuche des Angeklagten seien harmlos gewesen und hätten auch nicht zu Entgleisungen führen können. So habe A. statt Metall- absichtlich nur Holzkeile verwendet.

Gefasst werden konnte A., weil er die Vorlage eines von ihm verfassten Drohbriefs in einem öffentlichen Drucker liegen gelassen hat. Auf dem Papier wurden seine Fingerabdrücke gefunden. Vor der Festnahme wurde er observiert, wobei einmal ein Beamter neben ihm in der U-Bahn saß. Er konnte laut Staatsanwalt sehen, wie A. sich die Zeit mit einem Handyspiel vertrieb. Ein Spiel, in dem er Züge gegen Wände fahren ließ. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.