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"Nur die Lügenpresse ist dabei"

Von Daniel Bischof

Wilder Prozess gegen Frau, die Atteste für Maskenbefreiung ausstellte, ohne dazu befugt zu sein.


Vor dem Gerichtssaal breiten Frauen eine österreichische Nationalflagge aus. Die "Anklage dieser Regierung" wird darauf gefordert. Kamerateams umschwirren die Frauen. "Lügenpresse", kommentiert ein Mann. Daneben streitet ein Sicherheitsmann mit Menschen, die den Mund-Nasen-Schutz nicht oder nur unter der Nase tragen. Aus gesundheitlichen Gründen könnten sie keine Maske tragen, heißt es. "Ich habe eine Maskenbefreiung", betont ein Mann. Eine Frau erklärt: "Gott hat uns seinen heiligen Atem eingeblasen."

Als der Richter zur Verhandlung aufruft, strömen dutzende Menschen in den Gerichtssaal. Doch ist der Saal äußerst klein, nur Medienvertreter dürfen sich zunächst hinsetzen. "Das machen sie absichtlich. Nur die Lügenpresse ist dabei. Dabei wissen die eh schon, was sie schreiben", meint ein Mann. Einige Personen reden lautstark auf Richter Philipp Krasa ein. "Ich möchte hier ein völlig korrektes Verfahren und keine Agitationen", sagt er. Die Diskussionen nehmen allmählich ein Ende, drei Vertrauenspersonen der Angeklagten S. nehmen im Saal Platz.

Brandrede gegen Maske

Für all den Wirbel am Freitag am Wiener Straflandesgericht sorgen die Vorwürfe gegen die 55-jährige S. Die Staatsanwaltschaft Wien wirft S. vor, sich als Ärztin ausgegeben zu haben: Sie habe unbefugterweise Atteste ausgestellt, die von der Pflicht, eine Maske zu tragen, befreien. Die Vorwürfe: Kurpfuscherei, gewerbsmäßiger Betrug und vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten.

S. nimmt an Demos gegen die Corona-Maßnahmen teil, auf der Bühne hielt sie bereits einmal eine Brandrede gegen die Maskenpflicht. Einige ihrer Unterstützer fanden sich nun auch bei Gericht ein. Im Verhandlungssaal will sie zunächst keine Maske tragen: "Ich kann mit Maske nicht sprechen", erklärt sie. Nach einigen Diskussionen verwendet S. den Mund- und Nasen-Schutz dann doch. Zu den Vorwürfen bekennt sie sich nicht schuldig.

S. hat ein Doktorat im Bereich der Sonder- und Heilpädagogik. Sie sei eine "freie Therapeutin", betont sie. Zu ihren Aufgaben gehöre es, Menschen in Krisensituationen beizustehen.

"Sind Sie Ärztin?", fragt Richter Krasa die Angeklagte. "Nein", antwortet sie. Auch habe sie nie behauptet, eine Ärztin zu sein. Dass sie Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ab dem Juli 2020 ausgestellt hat, gibt die Angeklagte zu.

Wie viele "solcher Atteste" sie denn ausgestellt habe, fragt Krasa. Erbost antwortet S., der Richter solle nicht herabwürdigend von "solchen Attesten" sprechen, sondern sie ernst nehmen. Schätzungsweise rund 700 Atteste habe sie bis zum Februar 2021 ausgestellt, erklärt sie dann. Pro Attest habe sie 20 Euro "Bearbeitungsgebühr" verlangt.

Die Atteste habe sie in ihrer "Funktion als Doktor phil. mit weitreichenden Erfahrungen mit traumatisierten Menschen" erstellt. Diese seien für die Betroffenen "eine Eintrittskarte zu ihrem eigenen Leben". "Der Mensch" sei "mehr als eine Lungenfunktion".

Befragt werden auch mehrere Zeugen, denen S. ein Attest ausgestellt hat. Sie betonen, geglaubt zu haben, es handle sich um ein gültiges Attest. Ein junger Mann erklärt, er habe beim Maskentragen aufgrund psychischer Probleme öfters Erstickungsanfälle. Daher habe er sich an Frau S. gewandt. "Sie hat mir gesagt, sie hat ein Doktorat und das Attest ist gültig." Ins Rollen kamen die Ermittlungen gegen S., weil einige ihrer Kunden bei Polizeikontrollen aufgehalten wurden und dort das falsche Attest aufflog.

Sechs Monate bedingt

Das Recht werde "derzeit geschliffen", dass einem schlecht werde, sagt der Verteidiger. Er fordert, seine Mandantin S. freizusprechen. Die Masken würden bei der Bekämpfung der Pandemie nicht helfen, dies habe die EU in einer Verordnung festgestellt. Im Dreimonatstakt würden sowieso sämtliche Corona-Verordnungen und Gesetze in Österreich vom Höchstgericht aufgehoben werden. Die Vertrauenspersonen der Angeklagten applaudieren.

Krasa verurteilt S. wegen gewerbsmäßigen Betruges und Kurpfuscherei zu einer Haftstrafe von sechs Monaten. Sie wird unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Der Strafrahmen hätte eine Strafe von bis zu drei Jahren Haft erlaubt. Vom Vorwurf der vorsätzlichen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten spricht er sie mangels Vorsatzes frei.

"Ich bin mir sicher, dass Sie betrogen haben", sagt Krasa. S. habe auf dem Attest ausdrücklich auf jene gesetzliche Bestimmung verwiesen, wonach man aus gesundheitlichen Gründen vom Maskentragen befreit werden kann. Auch habe sie bei ihren Kunden den Eindruck erweckt, dass das Attest rechtlich relevant sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, der Verteidiger und die Staatsanwältin gaben keine Erklärung ab.