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Ex-OGH-Präsident: "Staatsanwälte sind keine Richter"

Von Daniel Bischof

Eckart Ratz warnt, Staatsanwälte mit dem gleichen Maß an Unabhängigkeit wie die Richter auszustatten.


Die "Unabhängigkeit der Justiz" ist in aller Munde. Justizministerin Alma Zadic (Grüne) will sie mit einem "Reformprogramm 2030" stärken. Das "Rechtsstaats- und Antikorruptionsvolksbegehren" fordert eine "unabhängige und starke Justiz" und die "Unabhängigkeit aller Staatsanwaltschaften". Standesvertreter der Richter und Staatsanwälte mahnen "die Unabhängigkeit der Justiz auf allen Ebenen" ein. Und auch Ilse-Maria Vrabl-Sanda, Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, pocht auf eine stärkere Unabhängigkeit ihrer Behörde.

"Unabhängigkeit als Ausdruck von Selbstbestimmung vermittelt zwar ein gutes Gefühl. Wo es um staatliche Machtausübung geht, dürfen aber ,Checks and Balances‘ nicht fehlen", meint Eckart Ratz, ehemaliger Präsident des Obersten Gerichtshofes. Ratz spricht am Freitag beim Symposium "Aktuelle Fragen zur Justiz und Justizreform" an der Jus-Fakultät der Uni Wien. Sein Vortrag liegt der "Wiener Zeitung" vorab vor.

Ratz warnt davor, Staatsanwälte mit dem gleichen Maß an Unabhängigkeit wie die Richter auszustatten: "Staatsanwälte sind keine Richter und Staatsanwaltschaften keine Gerichte." Eine Vermischung und Verschmelzung der beiden Gruppen sei problematisch, so der Strafrechtsexperte, der 2019 kurzzeitig Innenminister war. Ratz sagte Ende März auch im ÖVP-U-Ausschuss aus. Geladen hatte ihn die Opposition. Sie hält dem Juristen ein Naheverhältnis zur ÖVP vor, er soll für die Partei PR-Arbeit in Justizfragen betrieben haben. Ratz dementierte das und erklärte, mit Personen jedweder politischer Ausrichtung Kontakt gehabt zu haben.

"Irritierendes Verständnis"

Im U-Ausschuss zeigte sich Ratz über die derzeitigen Debatten um die Weisungskette unzufrieden. In seinem Vortrag argumentiert er nun, dass ein liberaler Strafprozess Kontrollmöglichkeiten und "unterschiedliche Rollen bei der Aufarbeitung von Kriminalstraftaten" voraussetze: "Zudem müssen geltendes Verfassungsrecht, Rechtsschutz- und Gemeinwohlinteressen und Interessen von Standespolitikern auseinandergehalten werden."

Das Bundes-Verfassungsgesetz verpflichte dazu, die Rollen des Verfolgenden und Richtenden zu trennen, "also gerade nicht zu verschmelzen", so Ratz. Während das Bundes-Verfassungsgesetz die Richter "in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig" mache, unterwerfe es Staatsanwälte den "Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe". "Soweit die ihnen vorgesetzten Organe auf Weisungen an Staatsanwälte verzichten, um deren ,Unabhängigkeit‘ zu wahren, übersehen sie schlankerhand ihre gesetzliche Verpflichtung zu deren angemessenen Kontrolle", führt er aus.

Weder das Bundes-Verfassungsgesetz noch Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf ein faires Verfahren) und Artikel 47 der EU-Grundrechtecharta (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht) "kennen eine Unabhängigkeit für Staatsanwälte". Wenn nicht mehr zwischen Richtern und Staatsanwälten unterschieden werde, "ist ein solches Verständnis von justizieller Geschlossenheit für den Bürger nichts weniger als irritierend". Ratz zitiert aus einem Vortrag des Ex-Justizministers Clemens Jabloner, der 2021 ausgeführt hatte: "In unserem thematischen Rahmen bedeutet Unabhängigkeit (...), trotz der engen kollegialen und fachlichen Verbundenheit zwischen Richtern und Staatsanwältinnen, die funktionale Trennung zu wahren."

"Unverantwortlichkeit ist nicht gemeint"

Ratz verweist auch auf das Strafrechtsübereinkommen über Korruption des Europarats, das Österreich ratifiziert hat. "Jede Vertragspartei trifft die erforderlichen Maßnahmen für die Spezialisierung von Personen oder Einrichtungen auf die Korruptionsbekämpfung", heißt es darin. Diese müssten die "erforderliche Unabhängigkeit" genießen, "um ihre Aufgaben wirksam und frei von jedem unzulässigen Druck wahrnehmen zu können".

"Bereits die im Wort ,erforderlich‘ zum Ausdruck kommende Abstufung zeigt, dass gerade nicht Unverantwortlichkeit, sondern deren kontradiktorisches Gegenteil gemeint und bloß Transparenz und Angemessenheit der Kontrolle eingefordert wird", meint der Strafrechtler.

Ratz mahnt, an der Trennung der beiden Organe festzuhalten. Die Bindung der Staatsanwaltschaften an Weisungen "fußt darauf, dass sie zur Wahrung der Interessen des Staates in der Rechtspflege, vor allem in der Strafrechtspflege, berufen sind". Als Interessenvertreter des Staates würden Staatsanwälte für die Verwaltung typische Aufgaben wahrnehmen. Dass Staatsanwälte Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit sind, bedeute nur, dass sie durch ordentliche Gerichte anstelle von Verwaltungsgerichten kontrolliert werden.

"Kein Gewinn für Demokratie"

So wie in der gesamten Verwaltung müsse auch bei Staatsanwälten eine demokratisch legitimierte Kontrolle und Weisungsbindung gewahrt bleiben, fordert Ratz. Als Diener der Interessen des Staates müssten Staatsanwälte sich diesem gegenüber auch verantworten. Nicht ausreichend sei eine ausschließliche Kontrolle der Ankläger durch die ordentlichen Gerichte.

Die Richter seien im Gegensatz zu den Staatsanwälten nicht auch den Interessen des Staates, sondern nur dem Gesetz verpflichtet. Daher erfolge die Kontrolle der Gerichte ausschließlich über den gerichtsinternen Instanzenzug. "Zur Entscheidung über die Interessen des Staates in der Strafrechtspflege und widerstreitende Interessen von Privaten sind allein die ordentlichen Gerichte berufen. Nur deren Organe sind dabei unabhängig", schreibt Ratz.

Derzeit seien durch die Mitwirkungs- und Kontrollrechte der Weisungskette bei den Staatsanwaltschaften rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien gewahrt. Wenn diese abgeschwächt, durch eine lediglich standesinterne Kontrolle ersetzt oder gar abgeschafft werden, sei dies "kein Gewinn für den Rechtsstaat und die Demokratie".